Archiv für den Monat: September 2008

Klassen sind keine Berufe!

Klassen im Rollenspiel haben viele Nachteile: Sie sind starr, geben keinen Freiraum oder engen diesen sehr ein und wenn einem gar ein bestimmtes Konzept vorschwebt, zwingen sie einen oft zu großen Umwegen, um die gewünschte Figur zu erstellen. Gerade in thematisch sehr engen Spielen können 08/15-Klassen eine sinnvolle Zusammenstellung verhindern. Klassen haben aber auch viele Vorteile, zumindest, wenn sie sinnvoll ins Spiel eingebunden werden.

Zunächst einmal erlauben Klassen, sich einen Charakter vergleichsweise schnell zu erschaffen – man muß sich nicht durch dutzende von Fertigkeiten wühlen und diese möglichst sinnvoll aufeinander abstimmen, damit das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Stattdessen nimmt man sich einfach einen Charakter von der Stange. (Dieses Problem lässt sich relativ problemlos durch Vorlagen oder Schablonen für Startcharaktere in klassenlosen Regelwerken umgehen)

Dann erlauben sie dem Spielleiter und den Mitspielern eine schnelle Übersicht, über die Möglichkeiten, die der Gruppe zur Verfügung stehen. Man muß nicht erst die ausgewählten Fertigkeiten begutachten, sondern kann grob aus der Klasse schätzen, was ein bestimmter Charakter auf dem Kasten hat. Dies lässt sich nicht alleine durch Berufsbezeichnungen für einzelne Charaktere festlegen, da z.B. die Vorstellung von dem, was ein typischer Pirat beherrscht, zwischen verschiedenen Spielern stark abweichen kann.

Klassen geben vor, welche Fähigkeiten eine Figur in dem betreffenden Regelwerk auf jeden Fall beherrschen sollte. Die Gefahr, sich beim Verbessern der Figur in nutzlosen Fertigkeiten zu verzetteln, ist dann vergleichsweise gering. Die Figuren bleiben vergleichbar, selbst wenn sie sich verbessern. (Allerdings wird es hierdurch vergleichsweise schwierig, eine Figur im Laufe ihres Daseins umzuorientieren – etwas, womit klassenlose Regelwerke kaum Probleme haben)

Klassen können Rollen (Aufgabenbereiche) im Spiel oder Archetypen abgrenzen und schärfen. Gerade für Systeme, die stark auf Spezialisten setzen oder in denen starke Archetypen eine Rolle spielen, sind daher mit Klassen gut bedient. Klassen können zudem Übersetzungsarbeit leisten, um ungewöhnliche und exotische Welten zu gliedern und somit den Zugang zu erleichtern.

Um diese Stärken auszuspielen, müssen die Klassen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllen:

  • Klassen müssen sich deutlich voneinander unterscheiden. Wenn es zwischen der Rolle des Barbaren und der des Söldners keinen Unterschied gibt, also beide Nahkämpfer sind, dann darf es nur eine Klasse „Kämpfer“ geben, in der beide stecken. Analoges gilt für Archetypen: Es darf nur dann die Archetypen Söldner und Barbar geben, wenn der Widerspruch zwischen beiden wichtig ist. Kleine Abweichungen in den Fertigkeiten (z.B. bevorzugter Kampfstil) rechtfertigen keine eigene Klasse, sondern höchstens einmalig gewählte unterschiedliche Sonderfähigkeiten.
  • Es darf nur eine überschaubare Anzahl Klassen geben, idealerweise höchstens 5. Wenn es zu viele Klassen gibt, dürften die Rollen oder Archetypen unzureichend definiert sein und demnach kaum die bedeutende Rolle spielen, die Klassen rechtfertigen. Zudem geht bei einer großen Anzahl Klassen deren Übersichtlichkeit und die Möglichkeit der schnelle Erschaffung verloren, weil man eine große Anzahl Klassen vergleichen muß. Bei einem System mit mehr als 20 Klassen ist in der Regel der Umstieg auf ein klassenloses Regelwerk sinnvoller.
  • Klassen sind keine Berufe! Die Klasse Spitzbube sagt nicht aus, daß eine Figur ein Mitglied der Diebesgilde ist und seinen Lebensunterhalt illegal verdient. Es heißt vor allem nicht, daß alle Mitglieder der Diebesgilde Spitzbuben seien. Der Schläger einer Diebesgilde ist von der Charakterklasse her ein Kämpfer; der Krieger, der mit schmutzigen Tricks und Schnelligkeit arbeitet, fällt hingegen unter die Klasse Spitzbube, auch wenn er von Adel ist und sich stets an alle Gesetze hält. Nicht jeder berufliche Söldner hat auch die Klasse Söldner, noch dürfen Ritter nur unentgeltlich kämpfen, weil sie sonst zum Söldner würden.
  • Klassen sind nicht realistisch. Der Versuch, ein realistisches Klassensystem zu erschaffen ist bei den meisten Settings von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Sie versuchen nicht, eine komplette Persönlichkeit abzubilden, sondern sind die Schublade, in die ein flüchtiger Bekannter sie einordnen würde. Daher regeln sie auch nur die Kernkompetenzen.

Retroklonmangel

Nun besteht nicht gerade ein Mangel an Retroklonen (auch als Scheinbildspiele bekannt), aber sie nehmen meiner Meinung nach ihren Namen zu Ernst: Sie sind wirklich nur Klone des zugrundeliegenden Spiels, enthalten – außer in Einzelfällen – kaum innovative Ideen. Damit qualifizieren sie sich noch nicht einmal als Herzensbrecher.

Das ist noch nicht einmal schlecht, wenn man sich das ursprünglich Ziel von OSRIC oder Labyrinth Lord ansieht, die beide in erster Linie eine Grundlage sein wollten, auf der Autoren neue Abenteuer und Quellenbücher für die jeweiligen Originalspiele (AD&D 1st Ed. bzw. Basic Set D&D) veröffentlichen können. (Neuerdings hat sich dies etwas geändert, beide wollen stärker als eigenständige Regelwerke gelten und wenden sich nun auch direkt an Spieler)

Es fällt schon wesentlich stärker auf, wenn man sich Basic Fantasy ansieht, das eben keine Emulation sein will, sondern ein eigenes Spiel. Nun ist es wirklich eine gute Vermengung von Regeln aus diversen Prä-d20 D&D Regelwerken, die auch funktionieren, aber im Grunde eben doch ein Basic Set D&D mit eingebauten Hausregeln aus langjähriger Spielpraxis. Das Spiel läuft flüssig, die Regeln sind größtenteils gut beschrieben, im Grunde gibt es nicht viel daran zu meckern: Es funktioniert.

Nur stellt sich mir die Frage: Warum so viel Arbeit in einen Klon stecken, wenn das Original deutliche Schwächen aufweist? Es gibt in der Old-School-Szene inzwischen viele Analysen, welche sich mit den Stärken und Schwächen von Old-School-Spielen beschäftigen, die den besonderen Flair darstellen und warum Regeln wie funktionieren, von den Retroregelwerken aber bislang größtenteils ignoriert werden. Wieso kommt keiner der Autoren auf die Idee, diese Ansätze zu nutzen, um gezielt für diese Ansprüche ein unbelastetes Spiel zu schreiben? Dies würde auch neuen Spielern den Einstieg erleichtern, weil eben keine Konzepte versteckt mitgeschleppt werden, die alten Hasen schon in Fleisch und Blut übergegangen sind, von Neulingen aber komplett neu erarbeitet werden müssen. Aber vermutlich ist dies das Problem: Für die alten Hasen besteht kein Leidensdruck und die restlichen Spieler weichen einfach auf New-School-Regelwerke aus.

Die Zauberin und der Schwan

Vor einiger Zeit habe ich Die Zauberin und der Schwan von Patricia A. MacKillip gelesen, was mich auf eine weitere Idee für ein REIGN-Setting gebracht hat. Im Gegensatz zur Rus‘ ist dieses nicht historisch, sondern beruht auf einem Fantasyroman – daher mit Magie.

Fünf Adelshäuser kämpfen um die Vorherrschaft auf der Insel, jedes hat einen übernatürlichen Schutzpatron. (Ich würde diese Insel an das historische Irland anlehnen, das ist aber kein Zwang) Es gibt zudem diverse kleinere Häuser, die ebenfalls über einen überirdischen Schutzpatron verfügen, aber keine Chance haben, die Vorherrschaft zu erringen und sich deshalb meist an eines der größeren Häuser anlehnen – wobei diese Bündnisse aber beständig wechseln, nur wenige kleine Häuser bleiben langfristig bei ihrem großen Partner, die meisten versuchen, durch Bündniswechsel Vorteile zu erringen.

Die überirdischen Mächte kämpfen ebenfalls gegeneinander, sind aber als Sternbilder an den Himmel gefesselt und können daher nur indirekt über die Adelshäuser ihrer Nachkommen (jedes Adelshaus stammt von einem übernatürlichen Wesen ab) gegeneinander vorgehen.

Es ist möglich, die Schutzpatrone der Häuser kurzzeitig zu befreien, auf diese Weise wird Magie gewirkt. Jedes Haus sucht nach einer Möglichkeit, den eigenen Schutzherrn vollständig zu befreien (oder die gegnerischen noch stärker zu fesseln) und dadurch die Übermacht zu erlangen.

Eine mögliche settingspezifische Regel wäre, die Macht des Schutzgeistes kurzfristig anzuzapfen, und dadurch beliebig viele Würfel in Expertenwürfel umzuwandeln – allerdings geht jeder dieser Würfel der eigenen Company dafür nach dem Konflikt dauerhaft verloren. So könnte zum Beispiel ein König so eine Schlacht gewinnen (weil er alle seine Würfel in ED mit Wert 10 umwandelt), dann aber feststellen, daß er der einzige Überlebene ist (weil die gesamte „Might“ seiner Company dabei draufgegangen ist).

Spielerkönnen bei D&D

Auf Dragonsfoot wurde vor einiger Zeit ein interessanter Beitrag zum Thema „Spieler und Können“ geschrieben, genauer: Was gute D&D-Spieler von schlechten D&D-Spielern unterscheidet. Der Autor ging dabei davon aus, daß es bei D&D ebenso unterschiedlich fähige Spieler gäbe, wie z.B. bei Schach, Monopoly oder Tischtennis. Spielerkönnen zeige sich dadurch, wie gut die Charaktere eines Spielers sich an die alte vulkanische Grußformel: „live long and prosper“ hielten.

Hier nun eine Übersetzung des Beitrags, dessen Original auf Dragonsfoot ich leider nicht mehr finden kann:

Gute Spieler haben und halten sich an spezifische Pläne und Ziele, wenn sie einen Dungeon erkunden. Ein solcher Plan wäre: „Wir kundschaften den Westflügel des vierten Untergeschosses aus, finden Bereiche, in denen es viele Schätze zu geben scheint, und plündern diese (wenn möglich) aus. Falls das nicht möglich ist, versuchen wir das Gelände und die Bewohner auszukundschaften, um später wiederzukommen und dann gezielt vorzugehen.“ Das Gegenteil davon wäre „Wir steigen in den Dungeon herab und wandern ziellos herum, bis wir entweder alle Monster niedergemetzelt haben oder getötet wurden.“

Gute Spieler wissen, was sie auf einer Expedition vermutlich brauchen werden, wann und wie sie es benutzen und wann sie es besser aufsparen.

Gute Spieler beherrschen grundlegenden Kampftaktiken und –strategien. Sie wissen, wie sie einen Kampf zu ihren Gunsten entscheiden, indem sie z.B. überlegene Reichweite, Deckung und Hinterhalte nutzen, ihren Gegner überraschen oder in die Zange nehmen.

Gute Spieler wissen, wann man kämpft und wann man besser verhandelt, herumschleicht oder den Kopf unten hält.

Gute Spieler notieren sich die Fähigkeiten und Schwächen ihrer Gegner, so daß sie nicht zweimal in die gleiche Falle tappen.

Gute Spieler wissen, wann sie gehen können und wann sie rennen müssen.

Gute Spieler nutzen nicht nur die Vorteile, die das Regelwerk ihnen durch Boni und Mali bieten, sondern setzen die Fertigkeiten ihrer Charaktere kreativ ein.

Zeit der Mythen

Vor einiger Zeit hatte ich mal eine Kampagne für Fate2FE geplant, die dann leider doch nicht stattgefunden hat. Es sollte in der Zeit vor den typischen Fantasykampagnen spielen, also bevor die alten, untergegangenen Zivilisationen die ganzen Dämonen eingekerkert, Zauber entwickelt und gigantische Katakomben gebaut haben.

Daher auch der Titel: „Zeit der Mythen“. Es sollte eben in den mythischen Zeiten spielen, zu denen die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits noch durchlässig ist und viele Menschen mit den Göttern (oder anderen übernatürlichen Wesen) verwandt sind.

Plan der Kampagne war, daß die Charaktere alle aus einem kleinem Stamm am nördlichen Ende der bekannten Welt stammen. Dieser Stamm wird vom Gott des Winters mehr oder weniger vernichtet und muß vor dessen eisigen und finsteren Schergen fliehen. Im Rahmen dieser Flucht wachsen die SC nach und nach in die Rolle der Stammesführer hinein, müssen nicht nur Monster besiegen, sondern auch die Streitigkeiten innerhalb ihres Stammes und zwischen Stamm und Fremden schlichten. Sie müssen Verbündete finden und dafür sorgen, sich auf ihrer Suche nach einem neuen Siedlungsplatz nicht zu viele Feinde zu machen. Im Endeffekt sollten sie SC die Möglichkeit haben, eine eigene Hochzivilisation zu gründen und zu deren Schutzgöttern zu werden oder den Gott des Winters wieder in seine Schranken zu verweisen, möglicherweise sogar beides.

Auf diesem Weg sollten sie aber alle diese Dinge hinterlassen, die typische Rollenspiel-Abenteurer so finden. Idealerweise sollte hinterher eine typische Fantasy-Kampagne laufen, die 1000 Jahre später spielt – und sich natürlich wieder mit dem Gott des Winters auseinandersetzen muß.