Archiv für den Monat: September 2020

Zuverlässigkeit von Magie

Im vorletzten Beitrag hatte ich über die Berechenbarkeit von Magie gesprochen, warum Magie in Rollenspielen immer berechenbar sein muss und wie das verhindert, dass sie das mysteriöse Flair aus Märchen und Sagen wiedergibt. Allerdings erhielt ich mehrere Kommentare, die darauf hinwiesen, dass es noch eine zweite Ebene gibt: Die Zuverlässigkeit von Magie, die man zudem als Abenteueraufhänger nutzen kann.

Als Beispiel wurden die Paktierer aus DCC und die Wilde Magie aus D&D 5 genannt. Hier lässt sich zwar immer noch berechnen, wie die Magie wirkt, aber der Einsatz stellt ein gewisses Risiko dar – die Magieinflation wird also etwas gebremst.

Die Magie in D&D ist extrem zuverlässig: Solange der Zauberer nicht unterbrochen wird, funktioniert der Zauber. Entsprechend viel Magie findet man in den meisten D&D-Welten, es wurde nicht ganz zu Unrecht über die Buttermesser +5 in den Vergessenen Reichen gespottet.

DSA und MIDGARD erfordern immerhin eine Probe, um den Zauber zu wirken, und Fehlschläge haben gewisse Konsequenzen. Entsprechend sind besonders mächtige magische Gegenstände seltener, aber dennoch stieg das Magieniveau mit jedem Quellenbuch weiter an.

Einen Schritt weiter gehen das Warhammer Fantasy RPG und das DCC RPG, wo jeder Zauber mit einem hohen Risiko eingeht: Bei einem kritischen Fehlschlag können äußerst unangenehme Dinge passieren, die dauerhafte Auswirkungen haben. Trotzdem mangelt es beiden Welten nicht an Magie.

Wie gesagt, diesen Anstieg des Magieniveaus kann man nicht ausschließen, solange man den Spielern den Zugriff auf Magie gestattet. Selbst bei extrem hohen Risiko werden die Spieler irgendwann anfangen, Magie zu horten.

Man kann mit dieser Eigenart aber spielen und sie nutzen, um neue Abenteueraufhänger zu schaffen. Was wäre, wenn es nicht nur persönliche Auswirkungen von Zauberpatzern gäbe, sondern das Magie horten an sich negative Auswirkungen auf die Umgebung hätte? Was, wenn die vielen Dungeons nicht gebaut wurden, um die magischen Gegenstände zu beschützen, sondern vielmehr Orte, an denen zu viel Magie gehortet wird, ab einer gewissen Schwelle zu Dungeons werden?

Es könnte z.B. eine Chance von 1 ‰ pro Jahr pro magischen Gegenstand sein. Der Dorfzauberer müsste schon viel Pech haben, wenn es seinen Turm erwischt, aber die Hauptstadt des Kaiserreichs, wo Magie zum Alltag gehört – über kurz oder lang wird die Magie sich entladen, die Einwohner in Monster verwandeln, alles Vorhandene in eine bösartige Fratze verzerren und die gesamte Stadt zu einem Dungeon machen.

In dem Fall wäre die Quelle all der Dungeon, die die Abenteurer so ausplündern … erfolgreiche ehemalige Abenteurer.

[Link] Ankerpunkte der Geschichte

Rollenspiel eignet sich ja toll für „was wäre, wenn“-Geschichten. Der Blog Ankerpunkte bietet diverse historische Ereignisse, bei denen im Rückblick viele Wege offenstanden und stellt dazu inspirierende Fragen, erstellt aber auch einige alternative Szenarien.

Für Zeitreisekampagnen (oder einfach, um sich Gedanken über Geschichte zu machen) sicherlich eine tolle Unterstützung!

Mysteriöse Magie im Rollenspiel – und warum es sie nicht gibt

In den 1990ern gab es immer wieder Versuche, Magie im Rollenspiel mit der Unsicherheit auszustatten, wie sie in Märchen oder Fantasyromanen üblich ist. Alle diese Versuche scheiterten und mussten scheitern.

Besonders auffällig war es für mich immer im Magiebuch zur 4. Auflage von MIDGARD – Das Fantasyrollenspiel. Dort gab es ein sehr ausgefuchstes Magiesystem, wo Zauber im Hintergrund erdacht wurden, indem die Autoren die 8 Essentien kombinierten. Diese Essentien durchzogen auch die gesamte Welt inklusive der Weltanschauungen der verschiedenen Kulturen. Im Grunde ein sehr schöner Weltenbau, mit nur einem Schönheitsfehler: Die Magie sollte mysteriös sein, wie das Vorwort deutlich machte (Magie sei nicht so berechenbar wie Wissenschaft). Sie sollte also der Magie entsprechen, wie sie in Märchen oder Sagen vorkommt. Magie sei selten, fremdartig, vom gemeinen Volk mit Argwohn betrachtet.

Es gibt also einen starken Gegensatz zwischen dem beschriebenen Flair als Erzählmagie und der tatsächlichen Ausgestaltung als Ingenieursmagie. (Das betrifft jetzt nicht nur Midgard, sondern fast alle Rollenspiele, die in diesem Sinn geschrieben sind – bei AD&D, DSA und vielen anderen Rollenspielen lag implizit eine ähnliche Vorstellung zur Magie zugrunde.)

Das Problem ist nur: In dem Moment, in dem ich die Magie für Spieler zugänglich mache, kann sie keine Erzählmagie mehr sein, denn die Spieler können sie überhaupt nur einsetzen, wenn es für die Magie nachvollziehbare Regeln gibt. Die für Spieler zugängliche Magie muss immer festen Regeln folgen, weil sie sonst am Spieltisch nicht von den Spielern eingesetzt werden könnte. Bestenfalls gibt es einen berechenbaren Unsicherheitsfaktor, wie etwa den Prüfwurf auf Zaubern bei MIDGARD, der mit einer Wahrscheinlichkeit von χ % gelingt. Damit kann für Spieler zugängliche Magie nur Ingenieursmagie sein.

Aus diesem Grund unterliegen auch alle Rollenspielwelten, die als „Mittelalter mit Magie“ anfangen, einer massiven Magieinflation, bei der am Ende eine vollständig andere Welt herauskommt, in der Magie zum Alltag gehört. Der Satz „fortgeschrittene Technik lässt sich nicht von Magie unterscheiden“ gilt halt auch umgekehrt: Fortgeschrittene Magie lässt sich nicht von Technik unterscheiden. (Was man übrigens wieder an MIDGARD gut erkennt, dessen Kosmologie der von Perry Rhodan stark ähnelt).

Soll das jetzt heißen, dass mysteriöse Magie im Rollenspiel vollkommen unmöglich ist? Nein, das heißt es nicht. Um herauszufinden, wie man sie einsetzen kann, hilft es, sich den den Unterschied zwischen Erzählmagie und Ingenieursmagie klarzumachen, wie Sanderson sie in seinem 1. Gesetz der Magie darlegt. Ingenieursmagie ist ein Werkzeug, mit dem man Probleme lösen kann und genau so setzen Spielerfiguren ihre Zauber ein. Erzählmagie dient einem anderen Zweck: Sie erschafft Probleme, für die es keine offensichtliche Lösung gibt.

Ich finde, Splittermond löst dieses Problem recht gut: Es gibt einerseits die Splitterträger (alle Spielercharaktere), die einfache, technische Zauber als Werkzeuge einsetzen können. Die Welt (zumindest der Teil, den ich gesehen habe) nutzt diese Fähigkeiten auch so, wie es nicht-magische Fähigkeiten nutzen würde. Andererseits gibt es die Anderwelt und ihre Mondpfade, in der und aus der fremde, mächtige, unverständliche und kontrollierbare Magie stammt. Diese Magie schafft Probleme, mit denen sich die Spieler herumschlagen müssen.

Dies ist natürlich die einfache Lösung, bei der man die Erzählmagie einfach aus den Händen der Spieler nimmt. Ich wüsste so kein Rollenspiel, dem es gelungen ist, Erzählmagie in die Hände der Spieler zu legen – was vermutlich daran liegt, dass die Spieler im Rollenspiel normalerweise die Aufgabe der Problemlöser übernehmen, nicht die Aufgabe der Problemverursacher.

Grundsätzlich könnte ich mir aber vorstellen, dass Erzählmagie in ähnlicher Weise eingeführt wird wie etwa der „Schatten“ in Wraith: The Oblivion. Ein Spieler beschreibt, was die Magie tut, ein anderer beschreibt die Kosten für den Zauberer, ein dritter die Einschränkungen des Zaubers. Das würde aber die klassische Aufteilung in Spieler (die Probleme lösen) und Spielleiter (die Probleme verursachen) auflösen, weshalb es vermutlich eher ein Ansatz für Konzeptspiele ist und weniger eins für klassische Regelwerke.

Ich nehme aus diesem Artikel jedenfalls eins mit: Es bringt nichts, eine Welt zu erschaffen, in der es geregelte Magie gibt, die durch die Erzählung als ungewöhnlich beschrieben wird. Die normative Kraft des Faktischen wird diesen Widerspruch im Laufe der Zeit auflösen, normalerweise indem die Spieler mit ihren Fähigkeiten die Welt entsprechend verändern. Um das zu verhindern, müssen sowohl die Fähigkeiten als auch ihre Einschränkungen auf der gleichen Ebene liegen: Entweder erzählerisch oder mechanisch. Man kann eine mechanische Fähigkeit nicht erzählerisch einhegen und eine erzählerische Eigenschaft nicht mechanisch darstellen.

[Rezension] Geschichten aus den Herbstlanden

Ich hatte vor einiger Zeit von den Herbstlanden geschwärmt und mir nun die Geschichten aus den Herbstlanden gegönnt – eine Sammlung von Kurzgeschichten, die ebenfalls in der Welt der Herbstlande spielt.

Von den ersten paar Geschichten war ich sehr enttäuscht, da sie eher krampfhaft in die Herbstlande geprügelt wurde: Das leichte, märchenhafte der Herzlande fehlten mir, ebenso die etwas schrägen Ideen. Die Geschichten wirkten auf mich sehr beliebig und auch bei einigen späteren Geschichten schien das wieder durch.

Nach dem Einstieg legte sich das glücklicherweise und der Teil, der mir an den Herbstlanden gefiel, kehrte zurück: Mit seltsam herbstlichen Wesen und sagenhaften Verhalten. Alle Geschichten griffen in irgendeiner Weise das Thema Verlust, Verlorenheit oder Liebe auf, was ebenfalls gut zur Originalgeschichte passte.

Insgesamt finde ich die Kurzgeschichten nicht ganz so gut wie den Roman, aber wem die Herbstlande gefallen haben, kann auch bei den Kurzgeschichten getrost zugreifen: Es gibt eine große Dosis Märchen-Herbst und die Geschichten schwangen zwischen mittelmäßig und gut.