Die vier Spielgründe, warum man so schwer eine passende Gruppe findet

Bisher dachte ich, der große Unterschied bei Rollenspielkampagnen liegen zwischen offenen Welten („Sandkästen“) und plotgetriebenen Kampagnen. Inzwischen stelle ich fest, dass ich mich da getäuscht habe: Die Achse „statische Welt“ vs. „lebendige Welt“ ist ebenso wichtig.

Ich hatte mich gewundert, warum ich typische D&D-Kampagnen (und auch Paizos Abenteuerpfaden, die dem selben Schema folgen) nichts abgewinnen kann. Vom Aussehen her ähneln sie meinen bevorzugten Kampagnen sehr, aber spätestens nach der 2. oder 3. Sitzung verlässt mich regelmäßig die Lust. Im Gegensatz dazu hat mich z.B. die Quanions-Queste für DSA gut unterhalten.

Wenn man sich einmal meine formschöne Skizze anguckt, erkennt man das Problem hingegen sofort: Mein bevorzugtes Genre sind lebendige Sandkästen, also ergebnisoffenes Spiel, in dem die Welt sich verändert und meine Handlungen Spuren in der Spielwelt hinterlassen. Bei plotgetriebenen Kampagnen in lebendigen Welten bleibt einer dieser Aspekte erhalten, der Einfluss des Erlebten auf die Spielwelt. Bei statischen Sandkästen bleibt das ergebnisoffene Spiel.

Koordinatensystem. Horizontal: Plotgetrieben, Sandkasten. Vertikal: lebend, statisch.

Die typische D&D5-Kampagne bietet mir keinen der beiden Punkte. Es geht in diesen Kampagnen meistens darum, eine Störung der natürlichen Ordnung aufzuheben und alles wieder in den Status Quo Ante zurückzuführen: Ein böser Kult beschwört Tiamat. Tiamat will die Welt in Finsternis stürzen. Helden besiegen Tiamat. Welt bleibt weiter licht. (Wobei Tiamat hier ebensogut durch Orkus, Vecna oder einen anderen Bösewicht der Woche ersetzt werden kann.)

Um das Problem etwas deutlicher zu machen, habe ich in blauer Schrift andere Medien angemerkt, die ähnlichen Prinzipien folgen. Statische Sandkästen ähneln typischen Brettspielen wie den Siedlern von Catan: Das Spiel wird bei Gruppenwechsel zurückgesetzt auf den Ursprungszustand, es gibt nur wenige beeinflussbare Mechanismen. Damit eignen sie sich für große Gruppen mit häufig wechselnden Mitspielern, weil man jederzeit ein- und wieder aussteigen kann.

Plotgetriebene statische Welten findet man auch in Heftromanen wie z.B. Geisterjäger John Sinclair oder alten Fernsehserien. Die Handlung bleibt meistens innerhalb der Episode beschränkt, die Welt wird anschließend wieder auf den Startzustand zurückgesetzt. Bestimmte Themen werden immer wieder angesprochen, wodurch ein Wiedererkennungswert besteht. Dadurch verpasst man einerseits nichts, wenn man eine Ausgabe nicht gelesen hat, andererseits wird die Romanwelt immer vielschichtiger, was es belohnt, bei der Stange zu bleiben.

Plotgetriebene lebendige Welten hingegen verändern sich im Angesicht der Spieler: Die Borbarad-Kampagne endet mit einer Neuordnung Aventuriens. Die Quanionsqueste endet mit einer Reform der Praioskirche. Die Spieler können die Handlungen zwar nur begrenzt beeinflussen, weil die Veränderung der Welt von der Redaktion bestimmt werden muss, aber die Welt sieht danach anders aus als vorher. Die nächste Kampagne setzt die bisherigen Veränderungen daher voraus. Damit ähneln sie eher Fantasy-Epen oder Science-Fiction-Zyklen, wo man zwar jedes Buch für sich lesen kann, aber erst bei Lesen aller Romane in der richtigen Reihenfolge die vollständige Geschichte offenbar wird.

Lebendige Sandkästen hingegen ähneln eher 4X-Spielen / Globalstrategiespielen, wo jedem Spieler viele verschiedene Mechanismen zur Verfügung stehen, um die Welt deutlich zu beeinflussen. Die Welt verändert sich ständig, erst im Nachhinein kann man die Veränderungen als eine Art Chronik oder Geschichte erzählen. Man kann sich mit anderen Gruppen daher nicht über Gemeinsames austauschen, weil es kein Gemeinsames gibt. Der Austausch erfolgt stattdessen über mögliche Unternehmungen, welche Ziele man sich setzen kann, Lösungsansätzen und so fort.

Wie man sieht: Auch wenn wir alle das Hobby „Rollenspiel“ betreiben, spielen wir teilweise so unterschiedlich, dass man es fast als unterschiedliche Sub-Hobbys auffassen könnte. Jeder dieser Spielweisen hat eigene Vor- und Nachteile, keine ist „besser“ oder „wahrer“ als die andere – man muss die Spielweise finden, die den eigenen Wünschen entspricht. Ich habe jedenfalls für mich daraus gelernt, dass ich in Zukunft eher bei einer DSA-Kampagne als bei einer D&D-Kampagne mitspielen werde, trotz meiner Abneigung gegen DSA als Regelwerk.

Ein Gedanke zu „Die vier Spielgründe, warum man so schwer eine passende Gruppe findet

  1. Florian

    Gut analysiert und hervorragend visualisiert!
    Das hat gerade einen Knoten entworren, an dem ich schon länger zerrte. Danke!
    Und das erklärt auch mir, warum ich zu DSA neige.
    Es ist außerdem ein gelungenes Argument, zu zeigen, wieso diejenigen, die ausschließlich DSA (oder nur D&D) gespielt haben, sich dringend mal umsehen sollten, ob das Hobby nicht noch viel mehr für sie bereithalten könnte.

    Würde zukünftig eigentlich am liebsten alle neuen Systeme auf diesem Schaubild verortet sehen; das wäre wirklich hilfreich.

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