Archiv für den Monat: August 2009

Gut und Böse im Rollenspiel

Diskussionen über Gesinnungen, über Gut und Böse, über Ordnung und Chaos verlaufen immer im gleichen Schema:

  1. Jemand fragt, wie andere „Gesinnungen“ im Rollenspiel verwenden.
  2. Ihm wird vorgeworfen, solche Systeme seien unrealistisch und man spiele auf der eigenen Welt (wesentlich anspruchsvoller) mit Grautönen.
  3. Irgendwer streut ein, wie „damals“ Gesinnungen verwendet wurden und warum sie eingebaut wurden.
  4. Es gibt einige Beiträge, die angeben, Gesinnungen seien doch praktische Zuordnungen, mit denen man schnell das Verhalten einer Person oder Gruppe einordnen könne.
  5. Die Proponenten von 2 + 4 palavern endlos über Sinn oder Unsinn von Gesinnungsregeln.

Im Grunde geht es dabei bloß um den Detailgrad eines Modells und am Kern der Sache vorbei: Bereichern oder verarmen die Regeln das Spiel?

Die Vereinfacher irren, wenn sie glauben, eine Zuordnung in so grobe Systeme wie „gut“ und „böse“ würden es erlauben, das Verhalten von Personen schnell einzuordnen. Dafür sind andere Schlagwörter (z.B. auf Basis der 7 Todsünden und Kardinalstugenden) viel praktischer. Lediglich für Gruppen bietet sie einen leichten Anhaltspunkt, wie die im Inneren aufgebaut sein könnten – aber selbst da bieten andere System mehr, wie 1of3 in seinem Blog zeigt.

Die Realisten haben recht, wenn sie behaupten, in der Regel sei ein Gesinnungsschema bloß eine symbolisch überladene Freund-Feind-Erkennung. Sie irren, wenn sie glauben, eine Welt ohne Gut und Böse sei realistischer. In unserer Welt sind Gut und Böse als Ideale ständig präsent, es besteht lediglich das Problem, dass es unmöglich ist, ihnen Handlungen oder Personen klar zuzuordnen. Diese eindeutige Zuordnung gelingt uns nur in sehr wenigen Einzelfällen. In einer von uns erschaffenen Welt besteht dieses Problem nicht: Es ist uns problemlos möglich, etwas eindeutig und objektiv als Gut oder Böse einzustufen, weil unsere Definition es zur Wahrheit macht.

Wenn man diese Einstufung nur nutzt, um damit das Meucheln von Orksäuglingen zu legitimieren, bricht das System zusammen, weil es den Wertvorstellungen der Spieler widerspricht. Es ist daher nicht ratsam, eine objektiv böse Kultur zu erstellen – das funktioniert nicht. (Absurderweise macht z.B. D&D alles zu einer Kultur, selbst aus Succubi)

Im „Herrn der Ringe“ hingegen wurden die bösen Orks klaglos akzeptiert. Warum? Hier wurde darauf verzichtet, aus ihnen eine Kultur zu machen. Kurz: Es gab keine hilflosen Orkfrauen und -kinder. Allerdings nutzt der Herr der Ringe diesen Widerspruch zwischen Gut und Böse nicht, er übernimmt ihn einfach, weil er einem Vorbild nacheifert, welches diesen Widerspruch enthält.

Bis hierher konnten wir Gut und Böse lediglich in einer Form unterbringen, dass sie nicht weiter stört, allerdings konnten wir sie noch nicht dazu nutzen, die Welt zu bereichern. Das ist aber ebenfalls möglich, wenn man das Konzept nutzt, um die Aufmerksamkeit von außen nach innen zu lenken.

Normalerweise geht es im Rollenspiel um das Außen: Ein Feind, der das eigene Land angreift, und den man besiegen muss. Eine andersartige Kultur, mit der man sich verständigen muss. Es geht also darum, dass die Spieler sich mit etwas beschäftigen, was sich außerhalb ihrer eigenen Kultur befindet.

Wenn man den Gegner weder besiegen noch mit ihm verhandeln kann, zwingt man den Fokus hingegen auf das Innere. Dies ist ein gängiges Stilmittel in Filmen über Naturkatastrophen oder Zombies. Bei Zombies taucht auch schon ein wenig die Möglichkeit auf, die das Böse als Bestandteil bietet: Das Verbergen im Inneren. (Der „infizierte“ Lebende im Zombiefilm) Diese Möglichkeit bietet mir eine gesichtslose Naturkatastrophe nicht.

Solange der Feind bloß eine andere Kultur ist, werden die Spieler versuchen, sich mit ihm zu verständigen. Dies werden sie umso stärker versuchen, desto stärker der Feind nur als spielweltintern Böse dargestellt wird. Hier wird ein Trick vermutet. Sobald der Feind objektiv Böse ist, also von außerhalb der Spielwelt als Böse klassifiziert wurde und ich dies auch nachprüfen kann (z.B. durch die Gesinnung Böse), funktioniert dieses Vorgehen nicht mehr. Ich muss mich auf andere Weise mit dem Gegner auseinandersetzen.

Nehmen wir als Beispiel mal Earthdawn vor der Plage. Man weiß, dass die Plage auf dem Weg ist. Man weiß, dass man die Horrors weder besiegen, noch sich mit ihnen verständigen kann. Man weiß, dass die Horrors sich menschliche Gestalt geben können. Was tut ihr, um euch vor diesem Feind zu schützen? Wie baut ihr euer Kaer? Lasst ihr den verzweifelten (aber euch unbekannten) Flüchtling noch herein? Wie geht ihr mit Zweifelsfällen um, wenn ihr nicht sicher seid, ob ein ehemaliger Freund noch der Freund ist – oder inzwischen von einem Horror übernommen wurde?

Die ist aber nicht die einzige Möglichkeit. Wie wäre es mit einer Fantasywelt, in der die Orks keine Kultur sind? Wenn sie wirklich nur als kriegerische Horde auftreten? Was wäre, wenn man bei einer Verfolgung der Orks niemals auf Orkstädte, sondern nur auf die Städte von anderen Menschen trifft? Und was, wenn die eigene Armee nie zurückkehrt, aber diese anderen menschlichen Städte plötzlich von Orks überfallen werden…?

Was, wenn das Böse ein Feind ist, der aus dem Inneren kommt und immer wieder unerkannt zuschlägt – ohne dass man ihn zu fassen kriegen kann?

Steinkäuze, Zombies und Diebesgilden

Der Steinkauz ist laut dem Volksglauben der Vogel der Weisheit und der Bote des Todes, weil sein Ruf wie „komm mit ins Totenreich“ klingt. In einem Rollenspiel kann das ein schöner Aufhänger für ein Abenteuer sein.

Es gibt ja in einigen Rollenspielen Totengötter, die nicht besonders gut auf Untote zu sprechen sind. Das muss nicht immer der Totengott selbst sein, sondern kann durchaus einer der niederen Totengötter sein. Der Steinkauz wäre nun der Bote dieser Gottheit und die Steinkäuze hätten den Auftrag, verlorene Seelen ins Totenreich zurück zu bringen und dem Gott zu melden, wenn sich Untote blicken lassen.

Ein besonders mächtiger Untoter, Dämon oder anderer Gott könnte nun Feinde der Steinkäuze stärken. Besonders geeignet dafür wären Ratten und Marder, die natürlichen Feinde des Steinkauzes.

Dies kann man nun ganz klassisch lösen, indem man einfach den Verursacher tötet oder den auslösenden MacGuffin zerstört. Wahlweise ist auch eine Ungezieferjagd möglich.

Natürlich könnte es auch weniger auffällig sein: Die Nagetiere wurden einfach abgerichtet, um die Steinkäuze einer bestimmten Gegend zu vertreiben, weil die örtliche Diebesgilde oder eine Rotte von Werratten oder -mardern einige Untote erweckt hat, um eine alte Schatzkammer zu plündern und sie nicht wollen, dass nervige Priester ihre Arbeit mit Segenssprüchen erschweren.

Für Tannweiler hatte ich mir überlegt, dass eine der konkurrierenden Diebesgilden ein Abkommen mit einem örtlichen Stamm Schimmelmenschen hat, welche mit ihren Zombiepilzen die Leichen von Zwergen in der (vor langer Zeit von Orks eroberten) örtlichen Zwergenmine wiederbeleben, um Erz zu schürfen. So hätte man Zombies in der klassischen Form, als untote Arbeitssklaven anstatt von ansteckenden untoten Kampfmaschinen. Die Diebesgilde kauft das Erz billig auf, um es über ein unterwandertes Handelshaus gewinnbringend zu verkaufen oder um es selbst zu verarbeiten und Handelsbeschränkungen zu umgehen. Die Schimmelmenschen verkaufen das Erz gegen Werkzeug und alchimistische Tinkturen, die sie nicht selbst herstellen können.

[Betrachtung] Theonchora Ephorân

Auf Theonchora wurden irdische Menschen aus verschiedenen Epochen in eine fremde Welt versetzt, wo sie
„Eingeborenen“ in Form der verschiedenen Fantasyvölker begegnen. Der Name Theonchora bedeutet so viel wie „Land der Götter“, denn genau das ist es: Es ist ein Land, in dem die antiken griechischen, römischen, ägyptischen und nordischen Götter Wirklichkeit sind.

Zu diesen Göttern gibt es natürlich auch die passenden Völker: Die Hellenen, Roma Nova, Kemet und drei Wikingervölker. Sie werden verstärkt durch Überläufer aus dem ehemals christlichen Mittelalter, die nun ebenfalls den heidnischen Götzen folgen: Die Ungländer den Asen und Vanen, die Frankländer dem Pantheon und die Deutschen den Olympiern. Als kostenlose Dreingabe gibt es ein Königreich des Kreuzes, in dem sich einige halsstarrige Christen versammelt haben, und eine frankländische Stadt, die eher den kemetischen Göttern zugeneigt ist.

Alles in allem also eine solide Ausgangsbasis für ein konfliktreiches Setting, in dem sich die verschiedene Kulturen munter kabbeln. Zudem wird ein dunkle Bedrohung in Aussicht gestellt. Da kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen!

Leider doch. In der Beschreibung liest man nämlich viel öfter davon, welche Konflikte auf gar keinen Fall ausbrechen können, als davon, welche Konflikte wahrscheinlich seien. Zudem weist die Welt teilweise logische Brüche auf.

Die Völker sind allesamt statisch und teilweise seit Jahrhunderten eingefroren. Besonders deutlich wird dies bei den Wikingern: Die Stridländer plündern seit knapp 500 Jahren Roma Nova, ohne dass sich diese stärkste Militärmacht Theonchoras dazu veranlasst sah, einmal eine Flotte aufzustellen, um diese Plünderer zu befrieden. Eigentlich hätten sie noch nicht einmal eine Flotte aufstellen brauchen, denn ganz offenbar hatten sie vor knapp 350 Jahren eine Flotte, mit deren Hilfe sie Frankland erobert haben. Diese Flotte muss zudem hochseetüchtig gewesen sein, da laut Beschreibung zwischen Frankland und Roma Nova keine Küstenschifffahrt möglich ist. Warum die Römer lieber Frankland erobert haben, anstatt die nervigen Stridländer auszuschalten, die auch nicht wesentlich weiter weg wohnen, wird nirgends erklärt.

Es wird auch nicht ganz klar, wie die Svandier und Gudmier in Frieden leben können. Keines der beiden Länder erreicht auch nur annähernd die römische Militärmacht, beide sind aber reich. Selbst wenn die abenteuerlustigsten, reichsten und tapfersten Stridländer aus Prestigegründen lieber nach Rom fahren, sollten doch noch genügend sonstige Stridländer übrig sein, um zumindest das friedfertige und nicht befestigte Svandia als Selbstbedienungsladen zu nutzen. (Schließlich wurden auch weiterhin christliche Klöster auf Irland geplündert, obwohl die Normannen schon bis Sizilien vorgestoßen waren)

Die Römer verhalten sich allerdings nicht nur in diesem Fall militärisch und strategisch äußert dämlich. Trotz ihrer gewaltigen Militärmacht scheitern sie seit mindestens 400 Jahren daran, das zersplitterte Hellas zu erobern – etwas, was dem Heiligen Olympischen Reich als drittstärkster Militärmacht etwa alle 60 Jahre gelingt. Und das, obwohl die Römer keine Feinde im Rücken haben, während die HORer sich vor Ungländern, Frankländer und Kreuzrittern in Acht nehmen sowie ein riesiges Gebirge überqueren müssen. Diese militärische Inkompetenz Roma Novas wird nirgends begründet. Da der Status Quo zwischen Ungland und Frankland an der Karonne ausdrücklich mit dem Eingreifen der Götter erklärt wird, scheinen diese sich hier ja nicht einzumischen.

Die Statik trifft aber nicht nur auf die internationalen Beziehungen zu, die ja mehr oder weniger über Jahrhunderte eingefroren sind, bis ein neuer Spieler auf Theonchora gesetzt wird. Nein, auch die Innenpolitik der Länder ist konfliktarm, um nicht zu sagen nicht vorhanden.

So gibt es mit Lapassette eine Stadt, die sich trotzig dem frankländischen König entgegenstellt, weil ihr Herrscher lieber den kemetischen als den römischen Göttern huldigen möchte. Anders als bei den (offensichtlich als Vorbild dienenden) Katharern versuchen die frankländischen Könige nun schon seit Generationen, das Problem auf friedliche Weise zu lösen – was bislang zu einer „zunehmenden Entfremdung“ geführt hat. Scheint kein besonders heißer Konflikt zu sein, da kann der theonchorische Völkerbund bestimmt schlichten.

In Ungland dürfen zwar nur die nordischen Götter angebetet werden, trotzdem gibt es eine christliche Untergrundbewegung. Aber selbst diese Vorlage läuft ins Leere, da nicht erwähnt wird, inwieweit (und ob) der ungländische König versucht, seine religiösen Anordnungen durchzusetzen.

Die Einwohner des Heiligen Römischen Reiches sind geradezu Ausbünde an Tugend: Selbst der baldige Tod ihres alten Kaisers lässt keine Grabenkämpfe um seine Nachfolge aufbrechen, kein Streit zwischen möglichen Erben. Nein, alle seine Kinder sind dickste Freunde und wollen unbedingt den Ältesten auf dem Thron sehen. Klar, dass unter diesen Umständen noch nicht einmal die Fürsten versuchen, sich zusätzliche Privilegien auf Kosten des todkranken Kaisers zu erwerben.

Das so ganz nebenbei das Königreich des Kreuzes ganz offensichtlich ein stehendes Heer hat, fällt da kaum noch ins Gewicht. Klar, es könnte ins Gewicht fallen, wenn Heer und Papst nicht vollkommen gleichgeschaltet wären, sondern teilweise unterschiedliche Interessen hätten, aber leider folgen ganz offensichtlich alle Kreuzländer den Befehlen des Papstes blind, egal, was es sie kostet.

Oh, und wo wir schon bei den religiösen Heeren sind: Zumindest bei den hellenischen Tempeln gibt es Kriegerorden, die wohl irgendwie gar nichts tun. Die Tempel ignorieren einander nämlich höflich und streiten sich keinesfalls um ihrer Stellung. Nein, nicht nur das – selbst in Fragen zum Wesen des Gottes streiten sich die Priester nicht. Es ist also ganz egal, wer oder was Poseidon wirklich ist: Solange jemand, der von sich selbst behauptet, ein Poseidonpriester zu sein, im Poseidontempel lernen kann, ist seine Interpretation Poseidons richtig. (Auf einen trojanischen Krieg oder gar eine Befreiung der armen Iphigenie müssen wir auf Theonchora wohl verzichten)

Fehler finden sich aber nicht nur im Verhalten der verschiedenen Völker, auch die Geographie wirkt eher lieblos so hingeklatscht, wie man sie gerade brauchte.

Laut Karte wirkt es z.B. so, als würden Aria, Luger und Iordan bergauf fließen. (Der Luger z.B. fließt aus einem Mittelgebirge zunächst in Richtung eines Hochgebirges) Dies wird durch die Beschreibung noch verstärkt, wenn z.B. der Aria in der Nähe einer 200 m tiefe Steilklippe entspringt, dann aber mehrere km weiter westlich 300 m in die Tiefe stürzt. Ihr Verhalten kann man zwar erklären, wenn man es will, aber es ist weder aus der Karte noch aus den Beschreibung ersichtlich und man ist als SL gezwungen, sich selbst dazu passende Höhenlagen auszudenken. Sehr unschön – das sind Dinge, die ich mir eigentlich ersparen will, wenn ich ein Setting kaufe.

Die Tatsache, dass Trolle als nachtaktive Wesen keine Möglichkeit haben, im Dunkeln zu sehen, die im Sonnenlicht mit weniger Nachteilen behafteten Orks hingegen schon, fällt bei den sonstigen Brüchen eigentlich nicht mehr ins Gewicht.

Kurz: Theonchora ist langweilig, statisch und unlogisch. Es ist kein Werkzeug für den Meister, sondern eine lieblos zusammengeklatschte Sammlung von weichgespülten Abziehbildern der wichtigsten mittelalterlichen und antiken Kulturen, vermengt mit etwas Fantasy. Alles, was man braucht, um ein Setting atmen zu lassen, darin Abenteuer zu spielen, fehlt. Es enthält nur, was jeder Rollenspieler, der in der Schule im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, in kurzer Zeit skizzieren kann. Jegliche Tiefe und Farbe hingegen fehlt.

(Diskussionen hierzu bitte im Forum)