Archiv für den Monat: Juli 2010

Der Sandkasten und die Spitzbuben

Zwar wird das Sandkastenspiel gelegentlich als Heilsmöglichkeit sämtlicher Rollenspielprobleme angepriesen, in Wirklichkeit ist es allerdings eine sehr anstrengende Spielform, die sehr hohe Anforderungen an Spieler wie Spielleiter stellt. Besonders drei Probleme tauchen immer wieder auf: Gruppenzusammenhalt, Charaktermotive und Abenteuersuche.

Um dieses Problem aufzuzeigen, will ich auf zwei Kampagnenlogbücher zeigen, die das exemplarisch darstellen: Gruppe scheitert am offenen Spiel ohne RR Aufhänger und [1E AD&D] Kicking it Old School.

Zunächst einmal zum Gruppenzusammenhalt. Vermutlich kennt jeder SL dieses Problem: Einer der Spieler fragt, warum sein Charakter sich an diesem Abenteuer beteiligen soll. Dafür gibt es sehr viele Lösungsmöglichkeiten (Themengruppe, gemeinsamer Feind, Auftraggeber …), die funktionieren im Sandkasten aber größtenteils nicht. Oder, genauer gesagt, wenn man diese Techniken anwendet, zerstört man einige der Kernpunkte des Sandkastens. Es liegt also in der Verantwortung der Spieler, Charaktere zu bauen, mit anderen Charakteren zusammenarbeiten wollen. Im Gegensatz zum stärker plotzentrierten Spiel kann man sich nicht einfach zurücklehnen, seinen einsamen Wolf basteln und dem SL überlassen, wie er die Einzelgänger zu einem Rudel verschweißt.

Die Verantwortung für den Zusammenhalt der Gruppe liegt also bei den Spielern. Es gibt keine äußeren Zwänge, welche die Gruppen zusammenhalten. Offenes Spiel heißt auch, dass ein Charakter, der nicht mehr mit der Gruppe reisen will, ausscheidet.

Weiter zu den Charaktermotiven. Im Sandkastenspiel müssen die Charaktere ein starkes Interesse daran haben, den Status quo zu ändern. Charaktere, die den Status quo erhalten wollen, reichen für ein Spiel im Sandkasten in der Regel nicht aus.

Dies wird im Beitrag Rogues and Sandboxes (Basic Edition) am Beispiel von Superman und Lex Luthor erklärt. Superman steht für alles, was in Amerika schön, wahr und gut ist. Er verteidigt diese Ordnung. Er ist sozusagen die Epigone der herrschende Ordnung, sein Ziel ist es, diesen Status quo zu erhalten. Das heißt allerdings im Umkehrschluss, dass er nicht aktiv handeln kann: Der Status quo ist gut, er kann ihn nicht aktiv verbessern. Ganz im Gegensatz dazu Lex Luthor. Er hat größere Pläne: Er will die Welt in seinem Interesse umgestalten. Um dies zu erreichen, muss er deren Wächter Superman überwinden. Lex Luthor handelt also aktiv.

Daraus jetzt zu schließen, dass Gesetzlose die besseren Helden seien ist aber falsch – auch die meisten Verbrecher haben es sich im Status quo eingerichtet, teilweise sogar gemütlicher als einige rechtschaffene Menschen. Al Capone z.B. hat kein Interesse daran, den Status quo zu ändern: Dank der Prohibition verdient er am Alkoholschmuggel Unsummen. Im Gegensatz dazu wäre Ernst Fröhlich von der Bad Spießinger Bürgerinitiative „Freibad im Spießer Bach“ ein guter Kandidat, weil er gegen die Widerstände vom Besitzer des Hallenbades, des Bürgermeisters und des Naturschutzbunds ein Freibad in einem Seitenarm des Spießer Baches einrichten will.

Was uns zur Abenteuersuche bringt. Für diesen Punkt eignet sich Ernst Fröhlich leider nicht so gut, da er nur ein Ziel hat: Das Freibad am Spießer Bach durchsetzen. Wenn sich im Spießer Bach nicht noch Dutzende finsterer Geheimnisse verstecken, wird er das ein ziemlich eintöniges Spiel. Die Charaktere sollten daher nicht nur den Status quo ändern wollen, sondern möglichst ein Ziel haben, das sich auf verschiedenen Wegen erreichen lässt. Nur so können sie sich flexibel einen neuen Weg suchen, wenn der alte aus irgendwelchen Gründen unpassierbar wird.

Aber auch hier sind wieder die Spieler gefordert: Sie müssen dem Spielleiter sagen, welche Ziele ihr Charaktere hat und wie sie diese erreichen wollen. Beim ergebnisoffenen Spiel im Sandkasten ist der SL darauf angewiesen, dass ihm die Spieler ihre Wünsche und Pläne im Detail mitteilen, damit er darauf eingehen kann.

Es reicht nicht aus, wenn die Spieler den Ogern einfach nur lauschen – das werden im Zweifelsfall nämlich einfach nur einige Oger beim Grillen sein. Wenn sie daraus ein Abenteuer machen möchten, müssen sie dem SL entsprechende Fragen stellen und deutliche Hinweise geben. Nichts tötet einen Sandkasten zuverlässiger als Spieler, die dem SL ihre Pläne und Ideen verschweigen!

Wenn die Spieler vorhaben, einen Drachen zu töten, müssen sie es dem SL deutlich sagen. Wenn er es weiß, kann er mit ihren entsprechenden Fragen und Nachforschungen im Spiel etwas anfangen – wenn sie einfach nur nach verbrannten Dörfern und Ogern mit einer auftätowierten Drachenschuppe fragen, kann der SL damit nichts anfangen. Besonders wichtig ist, dem SL die entsprechenden Hinweise frühzeitig zu geben, damit er Zeit hat, etwas vorzubereiten. Idealerweise sollte die Gruppe also immer ein oder zwei Sitzungen im Voraus planen, denn nur so kann der SL es auch tun.

Zusammengefasst: Für das Spiel im Sandkasten müssen die Spieler Charaktere bauen, die freiwillig zusammenarbeiten, das Abenteuer suchen und eigenständig Pläne entwickeln, anhand denen der SL ihnen Hindernisse entgegensetzen kann. Sonst wird der Sandkasten schnell öde.