[In die Tiefen] Die Klasse der Klassen

Schubladen sind äußerst praktisch, man kann darin Dinge verstauen, die man bei guter Sortierung dann einfach wiederfindet. Daher mag ich auch im Rollenspiel nicht auf Klassen verzichten.

Bei In die Tiefen gibt es sechs davon: Kämpfer, Glücksritter, Waldläufer, Zauberer, Mystiker und Fanatiker. Alles Klassen besitzen eine Kampffertigkeit, eine Anzahl Angriffe, eine Startausrüstung und drei Spezialfähigkeiten.

Kämpfer und Glücksritter entsprechen ziemlich genau Fahfrd und dem Grauen Mausling, der Waldläufer entspricht größtenteils dem Waldläufer aus AD&D. Mit allen drei bin ich nicht mehr richtig zufrieden: Zum einen hat sich meine vorgestellte Hintergrundwelt inzwischen auf ein bestimmtes Flair verschoben, dem diese Archetypen nicht mehr entsprechen. Zum anderen sind ihre Fähigkeiten vergleichsweise passiv, wie auch bei den Taxa möchte ich aber möglichst Fähigkeiten, die der Spieler aktiv einsetzen kann.

Der Zauberer vereint die beiden großen Magie-Klassen, Magier und Kleriker, aus D&D. Statt zwischen göttlicher und arkaner Magie unterscheidet In die Tiefen zwischen Magie der Ordnung und Magie des Chaos: Für beide benötigt man nur das Wissen, um sie anzuwenden, aber keine besondere Gabe oder Verbindung zu Göttern. Beide gewinnen ihre Magie aus unterschiedlichen Quellen: Zauberer der Ordnung müssen meditieren, können aber immer nur auf ihre eigene innere Stärke zurückgreifen. Zauberer des Chaos müssen Blutopfer bringen, können dafür aber Trefferwürfel horten.

Hier würde ich nur die Zauber überarbeiten, die ihnen zur Verfügung stehen. Sie wirken zum einen zu generisch, zum anderen wildern sie mir zu stark in anderen Bereichen.

Mystiker vereinen die Spezialfähigkeiten von Mönchen und Klerikern aus D&D (garniert mit ein kleines wenig Jedi-Ritter): Menschen, die sich in die Einsamkeit zurückgezogen haben und dort eine tiefe Einsicht gewonnen haben, die ihnen nun übernatürliche Kräfte verleihen.

Fanatiker stellen die Dark Fantasy-Version des Paladins dar. Ihr Eifer ist derart ausgeprägt, dass sogar die Realität nicht immer gegen ihre Überzeugung ankommt, und andere Menschen geraten angesichts derart fanatischer Überzeugung in Selbstzweifel.

Mystiker und Fanatiker würde ich so lassen, wie sie sind, aber die anderen Klassen stärker auf meine Hintergrundwelt anpassen (die angedeutete Hintergrundwelt werde ich in einem späteren Beitrag erklären). Außerdem würde ich mir thematischere Zauber ausdenken und Waldläufer, Krieger und Glücksritter deutlich überarbeiten.

[In die Tiefen] Von Taxa und Wortfindungsschwierigkeiten

Menschen mit lustigen Kostümen gehört zu den wichtigsten Teilen der Fantasy, aber gleichzeitig herrscht ein gewisses Unwohlsein bei den ehemals gebräuchlichen Begriffen Rassen und Völker – beides sind Kernkonzepte rechtsextremistischer Bewegungen, insbesondere der biologisierte Volksbegriff bildet da einen wichtigen Übergang.

Nach langem Hin und Her, viel Gesuche und Überlege, entschied ich mich schließlich für das Wort Taxon (Mehrzahl: Taxa) als Beschreibung. Es handelt sich dabei um eine Systematik der Biologie, die nicht zwingend auf Verwandtschaft beruht, sondern auch einfach aufgrund Ähnlichkeiten im Verhalten oder Aussehen (Formtaxa) gebildet werden kann. Dies schien mir noch der prägnanteste und unverfänglichste Begriff zu sein.

Grundprinzip

Mein Ziel lautete: Es sollte eine bunte Auswahl geben, aber keine überwältigende Masse. Zudem sollten alle Taxa eine Eigenschaft besitzen, die sie von anderen Taxa abhebt und die der Spieler aktiv einbringen kann (dafür noch einmal herzlichen dank an Kripfel, der darauf bestand, dass noch so mächtige passive Boni im Spiel oft nicht ausreichend wahrgenommen werden).

Gleichzeitig sollte keine Taxa besser für eine bestimmte Klasse geeignet sein als andere Taxa – also möglichst keine Synergien zwischen Taxa-Fertigkeiten und Klassen-Fertigkeiten.

Im Endeffekt entschied ich mich für Menschen, Elfen, Euwire, Zwerge und Gnome. Menschen, Elfen, Zwerge und Gnome kennt jeder, die Euwire entsprechen den Tauren aus World of Warcraft (ich war mir nicht sicher, ob der Begriff „Tauren“ markenrechtlich geschützt ist, daher habe ich sie umbenannt).

Die Taxa

Menschen

Menschen können in Todesverachtung über sich hinauswachsen und sich quasi beliebig hohe Boni auf eine Probe holen, wenn sie dafür ihren Tod in Kauf nehmen. Praktisch bezahlen sie jeden Bonuswürfel mit einem Todeswürfel, der direkt nach Abschluss der Probe gewürfelt wird. (In D&D-Begriffen müssen sie quasi für jedes +1 einen Rettungswurf gegen Tod würfeln).

Elfen

Die Kinder von übernatürlichen Wesen und Menschen. Es schließt also die ganzen Halb-Wesen aus D&D mit ein, aber auch Tieflinge.

Elfen können Illusionen erzeugen, indem sie sich erschöpfen. Je mächtiger die Illusion, desto kraftraubender.

Euwire

Menschenähnliche, auf zwei Beinen laufende Wisente und naturverbundene Herdentiere.

Euwire können mit Pflanzen und Tieren sprechen, was sie aber erschöpft.

Gnome

Mechaniker-Zauberer in Größe von ungefähr drei Käsen.

Sie können magische Gegenstände identifizieren.

Zwerge

Klein, stämmig und schwer. Stur wie der Fels, aus dem sie bestehen.

Zwerge können das Gewicht (für Physiker: die Masse) von Steinen verändern.

Einschätzung

Mit Menschen, Elfen und Zwergen bin ich sehr zufrieden. Den Euwiren fehlt etwas, aber ich kann meinen Finger nicht drauflegen. Die Gnome hingegen passen in dieser Form überhaupt nicht mehr zu meinen Vorstellungen und auch ihre Fähigkeit ist eher öde.

[In die Tiefen] Attribute, Rettungswürfe, Trefferwürfel

Im ersten Teil hatte ich die grundlegende Mechanik meines Heartbreakers vorgestellt, in diesem Teil geht es um die verschiedenen Mechanismen, die darauf aufbauen: Attribute, Rettungswürfe und Trefferwürfel / Ausdauer.

Attribute

Es gibt sechs Attribute: Stärke, Geschick, Konstitution, Intelligenz, Weisheit, Charisma. Die Attribute können einen zufällig ermittelten Wert zwischen 3 und 18 annehmen, was jeweils einen Bonus oder Malus einbringt.

AttributswertBonus bzw. Malus
3−3
4−2
5–7−1
8–13±0
14–16+1
17+2
18+3

Sowohl die Wertespanne als auch die Attribute selbst entsprechend 1:1 denjenigen aus typischen OSR-Spielen, auch wenn die Bedeutung teilweise geringfügig anders definiert wurde, um die Unterschiede klarer herauszustellen (das betrifft vor allem Weisheit und Intelligenz).

Anders als bei typischen OSR-Spielen übt der Spieler gewissen Einfluss auf die Attribute aus: Alle Attribute starten mit einem Wert von 6. Der Spieler würfelt nicht jedes Attribut der Reihe nach aus, sondern hat insgesamt sechs Verbesserungswürfe für die Attribute. Er muss vor dem Wurf sagen, welches Attribut er verbessern möchte und kann ein Attribut auch mehrfach verbessern.

Ich bin mit dem Ablauf eher unzufrieden: Die Attribute selbst werden im Rest des Spiels fast nicht verwendet (Ausnahme: Kondition als Start-Ausdauer), sondern nur die Modifikatoren. Es wäre schöner, wenn ich die Modifikatoren direkt als Attribute nutzen könnte. Derzeit liebäugele ich mit einem System, aber dessen Konturen sind noch eher vage:

  • Alle Attribute starten bei einem Wert von 0. Ein erster Wurf entscheidet, welches Attribut verändert wird. Ein zweiter Wurf entscheidet, in welche Richtung sich das Attribut verändert: Bei geraden Zahlen steigt es, bei ungeraden Zahlen sinkt es um 1. Wenn beide Würfe die gleiche Zahl zeigen, steigt oder sinkt es sogar um 2.
  • Alle Attribute starten bei −1. Es gibt nur einen Wurf, um das Attribut auszuwählen. Bei einem Erfolg steigt das Attribut um 1.

Rettungswürfe und Moral

Rettungswürfel dienen dazu, sich einer negativen Auswirkung auf die eigene Figur zu entziehen. Man würfelt mit 2W6 und zählt einen Bruchteil der eigenen Stufe hinzu sowie ggf. einen Attributsbonus bzw. zieht einen Attributsmalus ab.

Daneben gibt es Moralwürfe, die Spielerfiguren nur in Ausnahmefällen ablegen müssen. Moralwürfe kann man sich im großen und ganzen als Rettungswürfe gegen Furcht vorstellen, die nur Nichtspielerfiguren ablegen.

Die Rettungswürfe sind bisher nur unzureichend mit den Erfolgsstufen verknüpft.

Trefferwürfel und Ausdauer

Mit Trefferwürfeln ermittelt man, wie viel Ausdauer eine Figur hat. Sie entsprechen normalerweise der Stufe einer Figur. Wenn eine Figur alle Trefferwürfel dauerhaft verliert, stirbt sie.

Die Ausdauer beschreibt, was die meisten OSR-Systeme Lebenspunkte oder Trefferpunkte nennen. Sie gibt an, wie lange eine Figur handlungsfähig ist. Der Verlust aller Ausdauer tötet die Figur nicht, aber sie kann nicht mehr aktiv handeln. Zudem gerät die Figur in Gefahr, Todeswürfel anzusammeln, die zu »Wunden, Verkrüppelungen und Tod« führen können.

Anders als bei typischen OSR-Systemen baut sich Ausdauer auch nicht kumulativ auf. Stattdessen wird bei jeder dauerhaften Änderung der Trefferwürfel die gesamte Ausdauer neu ausgewürfelt. Eventuelle Boni oder Mali beeinflussen die Gesamtzahl nur einmalig. Zudem startet jede Figur mit einem festen Sockel in Höhe der Konstitution.

Das führt zu insgesamt eher niedrigen und ausgeglichenen Ausdauer-Punkten, da einmaliges Würfelglück beim Stufenanstieg nicht dauerhaft erhalten bleibt: Ich verliere beim Stufenanstieg zwar nie Ausdauer, aber ich muss ein höheres Gesamtergebnis würfeln, um die Höhe zu steigern.

Mit Trefferwürfeln und Ausdauer bin ich soweit sehr zufrieden, sie erreichen genau, was sie sollen: Figuren sind zu Anfang dank des Sockels in Höhe der Konstitution etwas stabiler als in typischen OSR-Systemen, gleichzeitig verhindert sie die Lebenspunkte-Inflation vieler anderer Systeme, die nur zu sinnlos in die Länge gezogenen Kämpfen führt.

[In die Tiefen] Grundregeln und Würfelmechanismus

Ich gehöre auch zu den Leuten, die gerne Rollenspielregeln basteln und habe daher meinen eigenen Heartbreaker geschrieben: »In die Tiefen«. Mein Ziel war es, ein System zu schreiben, das meinen Vorlieben entspricht, gleichzeitig aber einfach fertige OSR-Abenteuer verwenden kann. Das komplette Regelwerk ist für andere vermutlich nicht sonderlich nützlich, aber ich möchte die einzelnen Mechanismen vorstellen und erklären, warum ich sie gewählt habe und wie zufrieden ich damit bin.

Würfel

Der Grundmechanismus bei »In die Tiefen« besteht aus einem 2W6-Überwürfel-System. Man wirft also zwei 6seitige Würfel, mit denen man einen bestimmten Wert erreichen oder übertreffen muss.

Ich entschied mich für ein Überwürfel-System, weil auch die meisten OSR-System für den Großteil der Mechaniken ein Überwürfel-System verwenden. Es machte also die Umrechnung einfacher.

Für 6seitige Würfel entschied ich mich, weil die problemlos aufzutreiben sind, auch für Nicht-Rollenspieler. Notfalls kann man einfach welche aus dem »Mensch ärgere dich nicht«-Karton nehmen.

Für zwei 6seitige Würfel entschied ich mich, weil ich einerseits gerne Patzer- und sensationelle Erfolge einbauen wollte und andererseits Können vor Glück setzen wollte. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung bei zwei Würfeln tendiert zur 7, besonders hohe und niedrige Ergebnisse werden immer unwahrscheinlicher. So konnte ich die Wahrscheinlichkeit von sensationelle Erfolgen und kritischen Fehlschlägen trotz schmaler Wertespanne auf einem akzeptablen Niveau halten.

Bei einer Wertespanne von 2 bis 12 wirken sich die typischen Boni von −6 bis +6 in BX-basierten Systemen (jeweils 3 für Attribute und magische Gegenstände) deutlich aus, trotzdem bleibt ein Glücksfaktor enthalten. Zudem lässt sich die Wertespanne bis 20 auch bei Ablenkung noch ohne große Konzentration recht gut im Kopf berechnen.

Insgesamt bin ich mit dieser Mechanik sehr zufrieden, sie liefert zuverlässig ab, was sie soll. (Kein Wunder: Ich greife hier auf eine erprobte und gut abgehangene Mechanik zurück.)

Erfolgstypen

Typische OSR-Spiele kennen eigentlich nur Erfolge und Fehlschläge bei einer Probe, mit Ausnahme der Einstellungs-Proben beim zufälligen Treffen auf NSC, wo die Ergebnisse zwischen freundlich über neutral bis feindselig abgestuft werden.

Ich entschied mich dafür, dieses abgestuftere System für alle Proben zu verwenden und orientierte mich dabei an OMNI-basierten Regeln, wobei vermutlich auch einige Runden mit Regeln Powered by the Apocalypse gewissen Einfluss hatten.

Modifiziertes ErgebnisResultiert inBeschreibung
2PatzerVerschlechtert die Lage der Gruppe massiv.
3-5FehlschlagDie Aktion scheitert und kann nicht wiederholt werden.
6-8TeilerfolgDie Lage der Gruppe verbessert sich, aber das angestrebte Ziel wird nicht erreicht.
9-11ErfolgDas angestrebte Ziel wird erreicht.
12SensationDie Gruppe erreicht das angestrebte Ziel und erhält zusätzliche Vorteile.
Abstrakte Güteklassen von Erfolgen und Misserfolgen

Diese Güteklassen baute ich, wo immer möglich, direkt in die verschiedenen Mechaniken ein. In einigen Fällen ist es mir gut gelungen, in anderen bin ich mit der Umsetzung noch etwas unglücklich. In den Fällen, wo ich sie direkt in die Regeln eingebaut habe, funktionieren sie sehr gut und erlaubt feinere Abstufungen. Als abstrakte Tabelle finde ich sie hingegen eher nutzlos, mir fällt es sehr schwer, spontan entsprechende Unterschiede zu improvisieren.

Ich werde bei der Vorstellung der einzelnen Regelteile noch genauer eingehen, inwieweit mir diese Tabelle gefällt, was mir missfällt und wo ich mir wünschte, die Regeln expliziter auf sie zugeschrieben zu haben.

Die vier Spielgründe, warum man so schwer eine passende Gruppe findet

Bisher dachte ich, der große Unterschied bei Rollenspielkampagnen liegen zwischen offenen Welten („Sandkästen“) und plotgetriebenen Kampagnen. Inzwischen stelle ich fest, dass ich mich da getäuscht habe: Die Achse „statische Welt“ vs. „lebendige Welt“ ist ebenso wichtig.

Ich hatte mich gewundert, warum ich typische D&D-Kampagnen (und auch Paizos Abenteuerpfaden, die dem selben Schema folgen) nichts abgewinnen kann. Vom Aussehen her ähneln sie meinen bevorzugten Kampagnen sehr, aber spätestens nach der 2. oder 3. Sitzung verlässt mich regelmäßig die Lust. Im Gegensatz dazu hat mich z.B. die Quanions-Queste für DSA gut unterhalten.

Wenn man sich einmal meine formschöne Skizze anguckt, erkennt man das Problem hingegen sofort: Mein bevorzugtes Genre sind lebendige Sandkästen, also ergebnisoffenes Spiel, in dem die Welt sich verändert und meine Handlungen Spuren in der Spielwelt hinterlassen. Bei plotgetriebenen Kampagnen in lebendigen Welten bleibt einer dieser Aspekte erhalten, der Einfluss des Erlebten auf die Spielwelt. Bei statischen Sandkästen bleibt das ergebnisoffene Spiel.

Koordinatensystem. Horizontal: Plotgetrieben, Sandkasten. Vertikal: lebend, statisch.

Die typische D&D5-Kampagne bietet mir keinen der beiden Punkte. Es geht in diesen Kampagnen meistens darum, eine Störung der natürlichen Ordnung aufzuheben und alles wieder in den Status Quo Ante zurückzuführen: Ein böser Kult beschwört Tiamat. Tiamat will die Welt in Finsternis stürzen. Helden besiegen Tiamat. Welt bleibt weiter licht. (Wobei Tiamat hier ebensogut durch Orkus, Vecna oder einen anderen Bösewicht der Woche ersetzt werden kann.)

Um das Problem etwas deutlicher zu machen, habe ich in blauer Schrift andere Medien angemerkt, die ähnlichen Prinzipien folgen. Statische Sandkästen ähneln typischen Brettspielen wie den Siedlern von Catan: Das Spiel wird bei Gruppenwechsel zurückgesetzt auf den Ursprungszustand, es gibt nur wenige beeinflussbare Mechanismen. Damit eignen sie sich für große Gruppen mit häufig wechselnden Mitspielern, weil man jederzeit ein- und wieder aussteigen kann.

Plotgetriebene statische Welten findet man auch in Heftromanen wie z.B. Geisterjäger John Sinclair oder alten Fernsehserien. Die Handlung bleibt meistens innerhalb der Episode beschränkt, die Welt wird anschließend wieder auf den Startzustand zurückgesetzt. Bestimmte Themen werden immer wieder angesprochen, wodurch ein Wiedererkennungswert besteht. Dadurch verpasst man einerseits nichts, wenn man eine Ausgabe nicht gelesen hat, andererseits wird die Romanwelt immer vielschichtiger, was es belohnt, bei der Stange zu bleiben.

Plotgetriebene lebendige Welten hingegen verändern sich im Angesicht der Spieler: Die Borbarad-Kampagne endet mit einer Neuordnung Aventuriens. Die Quanionsqueste endet mit einer Reform der Praioskirche. Die Spieler können die Handlungen zwar nur begrenzt beeinflussen, weil die Veränderung der Welt von der Redaktion bestimmt werden muss, aber die Welt sieht danach anders aus als vorher. Die nächste Kampagne setzt die bisherigen Veränderungen daher voraus. Damit ähneln sie eher Fantasy-Epen oder Science-Fiction-Zyklen, wo man zwar jedes Buch für sich lesen kann, aber erst bei Lesen aller Romane in der richtigen Reihenfolge die vollständige Geschichte offenbar wird.

Lebendige Sandkästen hingegen ähneln eher 4X-Spielen / Globalstrategiespielen, wo jedem Spieler viele verschiedene Mechanismen zur Verfügung stehen, um die Welt deutlich zu beeinflussen. Die Welt verändert sich ständig, erst im Nachhinein kann man die Veränderungen als eine Art Chronik oder Geschichte erzählen. Man kann sich mit anderen Gruppen daher nicht über Gemeinsames austauschen, weil es kein Gemeinsames gibt. Der Austausch erfolgt stattdessen über mögliche Unternehmungen, welche Ziele man sich setzen kann, Lösungsansätzen und so fort.

Wie man sieht: Auch wenn wir alle das Hobby „Rollenspiel“ betreiben, spielen wir teilweise so unterschiedlich, dass man es fast als unterschiedliche Sub-Hobbys auffassen könnte. Jeder dieser Spielweisen hat eigene Vor- und Nachteile, keine ist „besser“ oder „wahrer“ als die andere – man muss die Spielweise finden, die den eigenen Wünschen entspricht. Ich habe jedenfalls für mich daraus gelernt, dass ich in Zukunft eher bei einer DSA-Kampagne als bei einer D&D-Kampagne mitspielen werde, trotz meiner Abneigung gegen DSA als Regelwerk.

Warum die Abschaffung der OGL so ein Problem ist

Wizards of the Coast wollen die Open Gaming Licence abschaffen, auch wenn es offiziell nur um eine Umstellung auf eine „neue“ Version ist. Gleichzeitig bricht die Frage nach dem Urheberrecht auf Regeln wieder auf.

Beides verkennt aber, warum die OGL so bereichernd für die Rollenspiel-Szene war. Es ging dabei nicht um die rechtliche Relevanz der Lizenz oder um die Freiheit des Rollenspielmaterials. Eher kann man sie als eine Art FRAND (Regelung für Nutzung von normwichtigen Patenten) für Rollenspielregeln sehen: Sie diente vorrangig wirtschaftlichen Zwecken und geregelten Zugang zu Techniken.

Rob Donoghue (einer der Köpfer hinter dem Fate RPG und Evil Hat) erklärt es recht gut: WotC wollte mit der OGL die Arbeit an Zusatzmaterial auslagern.

Deshalb verlagerten sie auch die Entwicklung für viele der „kleineren“ Settings wie Dark Sun, Ravenloft oder Al Quadim an Fan-Gruppen. Für WotC war es unwirtschaftlich, selbst Nischen-Material zu entwickeln, gleichzeitig erhöhte solches Nischen-Material aber den Absatz ihrer Regelwerke.

Die OGL sollte es also kleineren Unternehmen erlauben, Material für solche Nischen zu entwickeln und zu verkaufen. Daher die Trennung zwischen Open Content und Product Identity. Der Open Content sorgte dafür, dass die Regeln geteilt werden konnten (im Patent-Norm-Sinne: Interoperabilität sicherstellen). Die Product Identity garantierte, dass andere Unternehmen nicht einfach Trittbrett mit Neuauflagen von WotC-Material fahren und (umgekehrt) auch dass Eigenkreationen anderer Unternehmen nicht einfach von WotC aufgesogen werden.

WotC fesselte sich mit der OGL also selbst, um das Vertrauen anderer Marktteilnehmer zu gewinnen. Unabhängig davon, ob man Rollenspiel-Regeln nun rechtlich schützen kann oder nicht, ob man die OGL braucht oder nicht: Ich konnte mir sicher sein, dass WotC mich nicht verklagt. Aufgrund des enormen Machtungleichgewichts zwischen WotC und allen anderen Rollenspiel-Herstellern war dieses Versprechen an sich extrem wertvoll. (Gerichtsprozesse kosten viel Geld und gefährden so die Solvenz, auch wenn mein Insolvenzverwalter das Verfahren später gewinnt).

So ein Versprechen kommt uns heute natürlich vor, aber im Rollenspielbereich war es vor der Einführung der OGL keineswegs selbstverständlich – sowohl TSR als auch White Wolf und Palladium hatten zu jener Zeit den Ruf, ihr geistiges Eigentum eher mit Unterlassungserklärungen und Klagen zu verteidigen als eine derart offene Kooperation anzubieten.

Dieses Vertrauen und diese Kooperation zerschlägt Hasbro mit ihrer Aberkennung der OGL. Deshalb wollen Paizo, Chaosium und diverse kleinere Verlage als Ersatz die Open RPG License auflegen. Nicht, weil sie rechtlich gebraucht wird (die CC-BY wäre in der Hinsicht ausreichend), sondern weil sie eben diese Selbstverpflichtung zur Kooperation ausdrückt. Quasi das moderne Gegenstück zum altkeltischen Geis.

Melittomantie

Las neulich ein ansonsten belangloses Buch, in dem aber eine interessante Idee aufgebracht wurde: Melittomantie, also Wahrsagung durch Betrachtung von Bienen.

Im Buch geht es darum, dass ein Imker sämtliche Schlachten eines großen Feldherrn untersuchte, und mit dem Verhalten der Bienenschwärme in der Umgebung in Verbindung brachte. Er ging dann den Weg zurück und entwickelte eine Methode, um aus dem Verhalten der Bienen die richtige Strategie für eine anstehende Schlacht abzuleiten.

Im typischen Rollenspielsinne muss man das natürlich nicht auf Wahrsagerei beschränken, sondern es ließe sich z.B. auch ein Umhang aus Bienen denken, der den Träger fliegen, andere Wesen kontrollieren oder ähnliches lässt. Propolis anstatt eines Heiltranks. Ich glaube, da ließe sich ein thematisch etwas ungewöhnlicher Zauberer mit erstellen, der trotzdem viele der üblichen Fähigkeiten hat.

Das Ende einer Kampagne

Jede Kampagne endet einmal. Leider enden (meiner Erfahrung nach) die meisten Kampagnen nicht mit einem sauberen Abschluss, sondern aus irgendwelchen Gründen außerhalb der Kampagne an sich. Gerade passierte das wieder in einer Kampagne, in der ich mitspielte.

Es war ein, meiner Erfahrung nach, ziemlich typischer Kampagnenverlauf: Es begann als Sandkasten. Mit der Zeit schälten sich Themen heraus, die einige Spieler besonders gerne verfolgen wollten. Andere wollten lieber weiter ungebunden durch die Lande ziehen und Dungeons erkunden. Wieder andere wünschten sich mehr Baroniespiel, mit großen Schlachten und Heeren.

Spieler, die mit Anfänger-Charakteren wunderbar harmonieren, können vollkommen unterschiedliche Vorstellungen vom Spiel mit hochgradig erfahrenen Charakteren haben. Man muss also immer wieder gucken, ob die Vorstellungen noch passen – ein einmaliger Abgleich zu Beginn reicht nicht.

Diese Widersprüche ließen sich nur sehr schwierig unter einen Hut bringen. Dazu kamen Ereignisse außerhalb der Kampagne, die einige Spieler zum Ausstieg zwangen. Der SL tat sein bestes, um die Kampagne am Leben zu erhalten, aber es wurde von Spiel zu Spiel schwieriger. Je stärker die auf die Geschichte bezogenen Spieler auf den Abschluss ihrer Geschichte zuarbeiteten, desto weniger ließen sich die Abstecher in die Dungeons erklären. Der Widerspruch zwischen Baroniespiel-Spieler und Spezialeinsatzkräfte-Spieler wurde beständig virulenter.

So endete die Kampagne quasi in „Sichtweite“ des Finales. Hätte der SL sie noch retten können? Vielleicht, wenn er kurzfristig den Fokus auf die Geschichte gelegt hätte, um sie zum Abschluss zu bringen, und die Gruppe anschließend wieder freiere Hand beim Aufsuchen von Dungeons gehabt hätte. Aber auch das ist nicht sicher.

Vielleicht sollte man sich an die Lehre aus Faust erinnern: Wer versucht, einen Augenblick zu verewigen, verfällt dem Teufel.

Werd‘ ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!

Johann Wolfgang von Goethe: Faust 1

Nichts ist für immer schön, und wenn man merkt, dass es langsam ausfranst, ist es manchmal besser, die Kampagne straff zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen anstatt zu versuchen, sie weiter am Leben zu erhalten. Jedenfalls ist das meine Lehre aus dieser Kampagne.

Spieler als Gegenspieler: Interaktive Kampagnen

Der Standard bei Rollenspielen ist die Kampagne mit einem SL und Spielern, die a) einer bestimmten Geschichte folgen oder b) im Sandkasten des SL spielen. Das gilt selbst für Systeme wie REIGN, wo die Spieler ja eigentlich Anführer und Herrscher spielen.

Im Artikel Plotting Grand Campaigns beschreibt Wandering Bill einen zusätzlichen Ansatz, bei dem sowohl die Geschichte der Welt als auch die Geschichte der Charaktere von (unterschiedlichen) Spieler-Gruppen übernommen wird – ein Ansatz, dem z.B. auch DSA mit dem Baroniespiel in Grundsätzen verfolgt. Er nennt dies Patronats-basiertes Spiel.

Ich denke, gerade über das Internet ließe sich das sehr gut umsetzen, indem man mit seiner Heim-Gruppe die Kampagne spielt, aber bestimmte Elemente innerhalb der Geschichte von einer anderen Gruppe von Spielern umgesetzt werden.