Archiv der Kategorie: Politik

Warum Streetview empörte und Prism untergeht

Sascha Lobo twitterte ja vor einiger Zeit, Google Streetview habe die Menschen viel stärker empört als PRISM, Tempora & Co. es täten.

Ähnliche Beschwerden gibt es auch über die Reaktionen zum vorgeschlagenen VeggieDay der Grünen und anderen Punkten.

Das verwundert mich überhaupt nicht: Bei Streetview ging es nicht um Gesetze, sondern ganz konkret darum, dass Diebe auf diese Weise ihren nächsten Bruch erkunden, Leute beim Verlassen eines Bordells oder einer Stripbar aufgenommen werden oder der Partner einem mit der Affäre in Streetview sieht. Das mag alles weit hergeholt sein, klingt aber er so als sei es „mitten aus dem Leben“ gegriffen. Jeder kann diese Situationen nachvollziehen. Jeder kann nachfühlen, wie unangenehm das für die Betroffenen sein muss. Niemand will selbst in dieser Situation sein. Auch der vegetarische Tag betrifft mich persönlich, jemand will mir vorschreiben, was ich essen darf und was nicht!

Beim Überwachungsskandal geht es nicht mein Leben. In der ganzen Berichterstattung klingt nicht durch, dass die Überwachung mich persönlich betreffen könnte. Da geht es um „Gesetzesverstöße“, „Eingriffe in die Souveränität“, „Aufkündigung des Safe-Harbour-Abkommens“ und „Wirtschaftsspionage“. Bisher habe ich keinen einzigen Artikel darüber gelesen, dass die NSA die gewonnenen Daten nutzt, um „ganz normale Leute“ zur Spionage zu erpressen, indem sie z.B. droht, eine Affäre oder Raubkopiererei publik zu machen.

Wenn jetzt die Freundin der Tochter eines ehemaligen Kindergartenfreundes einen Terroranschlag durchführt – bin ich dann innerhalb der drei Kontaktstufen oder nicht? Die ganze Affäre wabert so im Ungefähren und Ungreifbaren, deshalb nimmt der greifbare Edward Snowden mit seinem Schicksal auch so viel mehr Platz in der Berichterstattung ein als die Spähaffäre selbst. Insgesamt wird über die Spähaffäre genau so berichtet, wie über hohe Politik berichtet wird: Das ist zwar alles nicht besonders schön, aber weit weg und nicht zu ändern.

Die Affäre ändert auch bei denjenigen, die sich darüber empören, nichts. Bisher bietet keine Partei standardgemäß verschlüsselte elektronische Kommunikation an. Keine Zeitung schreibt auf ihre Homepage „Diese Seite steht ihnen ab sofort nur noch per https zur Verfügung, um ihre Privatsphäre gegen die Ausspähung durch Geheimdienste zu schützen.“

Dabei wäre vollkommen egal, ob solche Aktionen die Geheimdienste nun abhalten oder nicht – wenn plötzlich ein Großteil der Seiten nur noch per SSL zur Verfügung stünde, wäre das ein deutlicher Hinweis: „verdammt, das betrifft mich! Sogar, wenn ich nur Zeitung lese!“. Diese Aktion wäre greifbar, fühlbar, hätte Auswirkungen auf mein Leben. Aber mit der derzeitigen Darstellung fühlt es sich bloß wie eine neue Sau an, die für den Wahlkampf durchs Dorf getrieben wird. Nur Leute, die die technischen Hintergründe kennen, verstehen, warum es tatsächlich ein Skandal ist und nicht bloß wieder eine Wahlkampfschlacht.

Das Problem der FDP

Die FDP hat ein Problem. Dieses Problem heißt aber nicht Rösler, auch nicht Westerwelle. Eher im Gegenteil, das Problem der FDP ist älter, es reicht bis in die 1990er zurück. Damals verlor die FDP langsam ihre großen öffentlichen Themen, im Sog der neoliberalen Globalisierung verstieg sie sich dazu, die Welt mit einfachsten Rezepten zu retten. Westerwelle übertünchte dieses Loch mittels seines persönlicher Charismas und seiner gewagten Auftritte, verhinderte damit aber auch eine Programmdebatte.

Deswegen löst Westerwelles Abschied das Problem der FDP auch nicht, ebensowenig kann Röslers Einstieg es lösen. Denn die FDP hat kein Personalproblem, sie hat ein Programmproblem. (Oder zumindest ein Problem mit dem öffentlich wahrgenommen Programm). Dies wurde ja in den Medien auch groß hervorgehoben, als es um den Wechsel von Westerwelle zu Rösler ging – nur fand die geforderte Programmdebatte nicht statt, öffentlich gestritten wurde (und wird) nur um Köpfe.

Die ehemalige Bürgerrechtspartei FDP vernachlässigt im Wahlkampf die Bürgerrechte, tritt stattdessen mit Angstparolen gegen Rot-Grün und fordert einen „schlanken Staat“ mit „weniger Steuern“. Und inzwischen mausert sich die Piratenpartei von „freie Musik für freie Bürger“ zu einer richtigen Partei und damit zu einer Konkurrenz, denn die Piraten besetzen offensiv das Thema Bürgerrechte im Wahlkampf – und werden dieses Thema auch nicht kampflos wieder abgeben.

Wenn die FDP ihre Programmdebatte nicht bald startet, könnte es daher zu spät sein. Dies heißt nicht, dass die FDP schon chancenlos wären. Sie sind schon einmal aus fast allen Parlamenten hinausgeflogen, nur um einige Zeit später ihre besten Wahlergebnisse seit der Gründung einzufahren. Auch bei der SPD sah es eine Zeit lang so aus, als würde sie von der PDS/LINKEN ausgebootet, heute ist das Verhältnis genau umgekehrt. Es heißt nur eins: Für andere Bürgerrechtsparteien besteht derzeit die Gelegenheit, die FDP zu ersetzen. Vorausgesetzt, sie selbst machen alles richtig und die FDP viel falsch.

Petition: 100% Erneuerbare Energien bis 2030

Der Orkpirat hat mich gerade auf eine großartige Petition aufmerksam gemacht: 100% erneuerbare Energien bis 2030. Das Ziel ist zwar utopisch, aber möglich – und gerade deshalb finde ich es unterstützenswert. (Eine Zusammenfassung des Plans findet sich bei ZEIT-Wissen).

Denn zum einen wäre das einmal ein Projekt, in dem es nicht darum geht, den Mangel zu verwalten oder ein Leck zu flicken. Im Gegenteil, es wäre ein Projekt, welches die Zukunft aktiv gestalten will. Kein Diktat äußerer Zwänge, sondern der Wille, etwas zu erreichen. Mit einem solchen Projekt hätte man ein Ziel, zu dem man hin will, anstatt langer Schatten, vor denen man flieht; es würde zeigen, dass Demokratien durchaus noch handlungsfähig sind und keinesfalls den effizienteren Diktaturen unterlegen.

Zudem würde es sowohl die deutsche wie auch die europäische Wirtschaft stärken, da es ihr schwierige, aber mögliche Ziele setzt: Überwindliche Probleme und Schranken sind aber der Motor des Fortschritts. Es bietet also nicht nur ideelle, sondern auch handfeste Vorteile.

Das Projekt könnte unsere Apollo-Mission sein – wenn wir es wollen und bereit sind, den Preis dafür zu bezahlen. Denn dieses Projekt wäre eine Investition in die Zukunft und jede Investition kostet erst einmal Geld, bevor sie sich auszahlt.

Piratenkapitän redet Blech

Unter dem Titel „Die Regierenden sind zu alt“ erschien in der ZEIT vom 22.10.2009 ein Interview mit Jens Seipenbusch, dem Vorsitzenden der Piratenpartei. Ein Teil dieses Interviews stößt mir gewaltig auf, aus mehren Gründen – und zwar der namensgebende Teil, in dem Seipenbusch sagt: „Die Regierenden sind zu alt“

Gegen Ende des Interviews sagt Seipenbusch: „Nein, dafür ist die FDP eine zu alte Partei. Da muss man einfach realistisch bleiben. Politiker, die jetzt 50, 60, 70 Jahre alt sind, sind weit davon entfernt, die Problematik, die wir eben diskutiert haben, überhaupt zu durchdenken. Die Regierenden sind zu alt.“

Es ist ja bereits ein starkes Stück, alten Leuten grundsätzlich die Fähigkeit abzusprechen, sich in technische Probleme einzudenken, die es in ihrer Jugend noch nicht gab. Das ist aber noch nicht einmal das Problem, sondern vielmehr zwei andere Punkte:

    1. Die Regierenden sind wesentlich jünger, als Seipenbusch behauptet. In Merkels neuem Kabinett werden Leute zwischen 36 Jahren (Rösler) und 67 Jahren (Neumann und Schäuble) sitzen. Das Durchschnittsalter aller 17 Minister beträgt 52,35 Jahre, liegt also dort, wo Seipenbusch die untere Altersgrenze ansetzt. Besonders die „vergreiste“ FDP stellt nur einen Minister, der älter als 50 Jahre ist.

Zum Vergleich: Das Durchschnittsalter der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern liegt bei 52,93 Jahren – noch etwas über dem Durchschnittsalter unserer zukünftigen Ministerriege. Verstehen die ob ihres Alters auch alle nichts vom Datenschutz?

    1. Es ist nicht die Aufgabe eines Ministers, exakte Fachkenntnisse in seinem Hoheitsgebiet zu haben. Das ist auch nicht möglich – sonst müsste der Wirtschaftsminister alleine so viel Ahnung von Wirtschaft haben wie der gesamte Lehrstuhl eines wirtschaftswissenschaftliches Instituts, die sich mit ganzer Kraft der Erforschung ihres Ausschnitts aus dem Fachbereich widmen. Dazu natürlich noch Ahnung von Soziologie, um die Auswirkungen der Gesetze auf die Gesellschaft vorherzusagen, und Jura, um dieses Wissen dann in Gesetzesform zu gießen. (Entsprechendes gilt für andere Ministerposten)

Ein Minister muß in erster Linie ein guter Vorgesetzter sein: Er muss anhand der vorhandenen Informationen Entscheidungen treffen, Ziele setzen und diese Ziele nach außen vertreten (und notfalls durchsetzen) und ein Klima schaffen, in dem Kritik an seinen Entscheidungen geäußert, wahrgenommen und überprüft wird. Außerdem muss er ausreichend Grundkenntnisse in seinem Fachgebiet haben, um fähige Berater zu ernennen und Aufgaben an die richtigen Mitarbeiter zu delegieren.

Diese Gesichtspunkte fallen bei Herrn Seipenbusch komplett aus dem Raster. Alles in allem verstärkt das Interview bei mir den Eindruck, die Piraten neigen zu einer Technokratie, in der Gesellschaftsingenieuren objektiv die technisch optimale Entscheidung ermitteln, ohne dabei die Nicht-Experten großartig zu berücksichtigen.

Alles in allem erkennen die Piraten damit allerdings nur ein selbstverschuldeten Problem: Weil sie die Politik jahrelang ignoriert haben, floß keinerlei Internet-Know-How in die Politik ein, sie blieb ein Offline-Geschäft. Nun, wo dieses Versäumnis auf sie zurückfällt, schieben die Pirates es auf das Alter „der Politiker“ und nicht etwa auf ihr jahrelanges Desinteresse.

Die Welle

Neulich war ich im Kino und habe mir den Film „Die Welle“ angesehen, eine Neuverfilmung des Films „The Wave“ von 1981, der wiederum auf dem gleichnamigen Buch und dem Schulprojekt The Third Wave beruht. Ziel dieses Projektes war, die Mischung aus Gefahr und Anziehungskraft darzustellen, die von totalitären Bewegungen ausgeht. Grundsätzlich gelingt es dem Film recht gut, das Thema ins heutige Deutschland zu übertragen – wenn er nicht durch zusätzliche Erzählstränge überfrachtet wäre.

Grundlage des Films ist ein Projekt, das ein überforderter Lehrer beginnt, nachdem seine ursprüngliche Planung für das Thema „Autokratie“ an der Unlust der Schüler zerbröckelt ist. Um ihnen zu zeigen, daß es keineswegs so einfach ist, totalitäre Bewegungen zu erkennen, wie sie denken, wandelt er sein Projekt kurzerhand in eine solche Bewegung um. Mit anscheinend unverfänglichen Angeboten macht er ihnen Disziplin und Gemeinschaft schmackhaft, was auch sehr gut funktioniert – mit wenigen Ausnahmen beißen alle Schüler an, nur eine Schülerin (Mona) durchschaut die Masche.

Im weiteren Verlauf des Films kommt es dann, wie es kommen muss: Die Bewegung wächst, die Schüler werden immer stärker zusammengeschweißt und ihre neue Gemeinschaft bewährt sich gegen Angriffe von außen. Die Mitglieder füllen die Leeren Stellen in ihrer Gemeinschaft kreativ aus, indem sie z.B. einen Gruß erfinden, eine Homepage erstellen, Feten schmeißen. Gleichzeitig schließt die Bewegung aber auch konsequent jene aus, die sich ihr nicht bedingungslos anschließen, wie Karo (die Heldin des Films) feststellen muss. Unter dem Druck der Beziehung bricht sogar eine Krise in der Beziehung mit ihrem Freund (überzeugter Anhänger der Welle) aus, die vorher wohl schon lange geschwelt hat.

An Karo werden auch die Schwächen des Films deutlich. Zunächst einmal gibt es keinen nachvollziehbaren Grund für sie, sich der Bewegung entgegenzustellen. Anders als Mona war sie zu Beginn durchaus angetan und es wird nie deutlich, warum sie kein weißes Hemd anzieht und so die finstere Seite der Bewegung zu spüren bekommt. Gleichzeitig ist sie viel zu tugendhaft, um glaubwürdig zu wirken, ganz besonders im Vergleich zu Mona. Auch die Szenen, in denen ihre Angst und Unsicherheit gezeigt werden sollen, wirken aufgesetzt und langweilig. Ähnliches gilt für den Konflikt zwischen der Welle und den Punks, wenn man einmal vom ersten Auftauchen absieht. (Die Prügelei beim zweiten Auftauchen war wohl eine der schlechtesten Kampfszenen, die ich je gesehen habe)

Sehr schön ist hingegen, wie der Film
aufzeigt, wie der Lehrer von seiner eigenen Bewegung mitgerissen wird: Sowohl, wenn er Rothemd Karo ignoriert, als auch, wenn er sich gegen sämtliche Einwände immunisiert. Besonders gefreut hat mich, daß seine Minderwertigkeitskomplexe bereits zu Anfang des Films angedeutet wurden und nun nicht einfach aus dem Nichts fallen. Insgesamt ist der Übergang aber zu schnell und zu hart, um wirklich zu überzeugen.

Ins genaue Gegenteil schlägt es dann beim Beginn der Auflösung zu. Bei einem Wasserballspiel eskaliert die Gewalt, es kommt zu einem Kampf. Mir erschließt sich allerdings weder, warum der Kampf ausbricht, noch, warum es zum anschließenden Streit zwischen Karo und Marco (ihrem Liebsten) kommt. Die Szene würde Sinn ergeben, wenn die Mannschaft das Spiel verliert, weil Karos Flugblaktion die Spieler ablenkt und sie unkonzentriert und unfair spielen. So ist aber die Aggression eigentlich schon kanalisiert, wenn auch in einer mir überhaupt nicht nachvollziehbaren Weise.

Das große Finale findet schließlich in der Aula der Schule statt. Marco hat in seiner Auseinandersetzung mit Karo erkannt, daß die Welle außer Kontrolle geraten ist und versucht, dies auf dem Treffen deutlich zu machen. Der Lehrer befiehlt den Mitgliedern der Welle, die den Saalschutz übernommen haben, den „Verräter“ auf die Bühne zu bringen und lässt sie dort dann auflaufen, indem er ihr Handeln hinterfragt: „Warum habt ihr ihn auf die Bühne gebracht?“ und „Was wollt ihr nun mit ihm machen?“ Das ganze endet in einer Schießerei, einem Selbstmord und vielen Tränen.

Was bleibt,
ist ein zwiespältiges Verhältnis zum Film. Solange sich der Regisseur darauf beschränkt, die Anziehungskraft und Wucht der Welle darzustellen, ist der Film wirklich gut. Leider zerfasern diese guten Ansätzen im Versuch des Autors, auch gleich den korrekten Umgang mit solchen Bewegungen zu zeigen. Karo ist viel zu blaß, um die Rolle der „Sophie Scholl der Welle“ glaubhaft zu machen, und die Welle an sich dafür nicht gefährlich genug. Der erhobene Zeigefinger scheint zu oft durch, die Guten handeln oftmals gedankenlos und unnötigerweise auf eigene Faust. Sollte es von dem Film einen Director’s Cut geben, so schneidet er hoffentlich noch ein paar Szenen heraus, anstatt zusätzliche einzufügen.