Charisma – die Geschichte eines Dumpstats

Das diesmonatliche Thema im Rollenspiel-Karneval ist der Dumpstat. Wenn ich das Wort höre, muss ich sofort an AD&D2 und dessen Charismattribut denken. Nirgends war mir die Bedeutung des Wortes deutlicher als hier. Wie kommt das?

Nun, bei AD&D2 spielten wir immer mit einem klaren Schwerpunkt auf Kampf. Dafür gab es so brauchbare Attribute wie Stärke (Bonus auf Schaden und Trefferchance im Nahkampf), Geschick (Bonus auf Verteidigung und Trefferchance im Fernkampf) und Konstitution (höhere Lebenspunkte). Die Intelligenz nützte vor allem Zauberern, aber gibt auch einen Bonus auf viele Fertigkeiten und zusätzliche Sprachen. Bei der Weisheit gilt gleiches für Kleriker, außerdem unterstützt sie Rettungswürfe gegen Illusionen und Bezauberungen.

Ja, und dann gab es Charisma, von dem die Anzahl der Gefolgsleute abhing. Gefolgsleute? Huh? So etwas hatten wir nicht. Wir spielten Helden, die im Alleingang von Koboldstämmen niedergemetzelt wurden. Oder umgekehrt. Auf jeden Fall hatten wir keine Gefolgsleute dabei, die ergaben für uns keinen Sinn. Entsprechend haben wir also den niedrigsten Attributswert in Charisma »versenkt«.

Für mich war immer klar, dass der Dumpstat ein sinnloser Wert ist, den man ebenso gut hätte weglassen können und der im Spiel nur deshalb enthalten ist, weil, is‘ so. Heute weiß ich, warum es die Regeln für Gefolgsleute gab und dass sie bei früheren Ausgaben von AD&D sogar wichtig waren. Aber fangen wir am Anfang an.

Ursprünglich bestand die Heldengruppe bei D&D, neben den Helden selbst, noch aus diversen Gefolgsleuten, Söldnern und sonstigen Bediensteten. Sie ähnelte also den Expeditionen im 19. Jahrhundert: Gesprochen wurde nur von den Anführern, insgesamt umfasste sie einen gigantischen Tross. Erfolg und Tragödie hing vom Wohlergehen der Anführer ab, der Tross ließ sich austauschen. Aber die Expedition konnte trotzdem nur mit loyalem Gefolge gelingen und diese Loyalität basierte auf dem Charisma. Ähnliches galt für zufällige Begegnungen, das Charisma des Unterhändlers entschied über Wohl und Wehe des Zusammentreffens. In gewisser Hinsicht gab also auch das Charisma einen Bonus auf Schaden und Trefferpunkte.

Der Fokus wandelte sich im Laufe der Zeit enorm. Wie gesagt, als wie AD&D spielten, orientierten wir uns an den Fantasyromanen der 1980er und 1990er, in denen kleine Gruppe und Einzelgänger die Welt retteten. Entsprechend kamen wir überhaupt nicht auf die Idee, ein Gefolge anzuheuern. Alliierte ergaben sich aus der Geschichte und wurden vom SL nach dramatischen Gesichtspunkten eingebaut. Das Charisma hatte seine Funktion verloren, es verkam zum Dumpstat.

Das fiel natürlich nicht nur unserer Gruppe unangenehm auf, sondern vielen Spielern. In späteren Ausgaben von D&D verwandelte sich das Charisma daher, anstatt von Loyalität bildete es die Willens- und Überzeugungskraft ab. Es beeinflusste häufig gebrauchte Mechaniken wie z.B. die klerikale Fähigkeit, Untote zu vertreiben, oder die Zauberfertigkeiten des Hexers. Allerdings war es nicht für alle Klassen gleich nützlich. Neben dem Charisma wandelte sich auch der Dumpstat: Dies konnte nun quasi jedes Attribut sein, abhängig von der Klasse.

So wurde aus dem Überbleibsel früherer Editionen wieder ein bewusstes Designelement, das genutzt werden konnte, um die Fähigkeiten des Charakters auf Regelbasis zu gestalten.

Ein Gedanke zu „Charisma – die Geschichte eines Dumpstats

  1. Joni

    Schön zusammengefasst! :)
    Wir sind ebenfalls in den 90er Jahren rollenspieltechnisch großgeworden – und ebenfalls mit AD&D. Das Gefolgsleute-Thema haben wir anfangs auch nicht so recht verstanden.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert